11/22/2018
 5 Minuten

Was ist ein Tourbillon und wie funktioniert es?

Von Mathias Kunz
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Image: Bert Buijsrogge

Es ist klein, sehr fein und es dreht sich unentwegt – das Tourbillon. Doch wie funktioniert es und wer hat es erfunden? Wie in den bisherigen Artikeln dieser Reihe werden Ihnen diese Fragen auch dieses Mal leicht verständlich beantwortet.

Was ist ein Tourbillon?

Ins Deutsche übersetzt bedeutet das französische Wort so viel wie „Wirbelwind“. Mit einem Sturm hat es aber nicht viel gemein. Vielmehr ist das Tourbillon eine Vorrichtung bei mechanischen Uhren, die das Gangverhalten verbessern soll. Hierfür gleicht es schwerkraftbedingte Gangabweichungen durch die permanente Änderung der Lage aus. Da es der Uhr aber keine Funktionen hinzufügt, kann man streng genommen nicht von einer Komplikation sprechen. Trotzdem ist es ein Indikator für die hohe Uhrmacherkunst. Nur wenige Manufakturen beherrschen dieses schwer zu fertigende uhrmacherische Meisterwerk.

Wie funktioniert ein Tourbillon?

Im Grunde ist ein Tourbillon ein Drehgestell bzw. Käfig, in dem die Unruh samt ihrer Unruhspirale, das Ankerrad und der Anker untergebracht sind. Dieser Käfig ist meist mit dem Sekundenrad verbunden und wird auch von diesem angetrieben. Da sich das Sekundenrad für gewöhnlich einmal pro Minute um 360 Grad dreht, vollzieht auch das Tourbillon in 60 Sekunden eine volle Umdrehung. Diese Rotation gleicht schwerkraftbedingte Gangabweichungen aus und sorgt so für eine möglichst hohe Ganggenauigkeit.

Geschichte des Tourbillons

Die Taschenuhr war Ende des 18. Jahrhunderts ein weit verbreitetes Zeitmessinstrument. An Armbanduhren war zu dieser Zeit kaum zu denken. Ihren Siegeszug trat die Uhr fürs Handgelenk erst im 20. Jahrhundert an. Bis dahin nutzte man also Taschenuhren und die meisten Männer trugen ihren mobilen Zeitmesser in der Westentasche, also in senkrechter Position. In dieser Lage wirkt sich die Schwerkraft deutlich auf die Ganggenauigkeit der Uhr aus, doch wie konnte man der Gangabweichung Herr werden?

Abraham Louis Breguet nahm sich dieser Frage an und entwickelte 1795 das Tourbillon. Sechs Jahre später erhielt er das Patent für seine Erfindung. Breguet gilt aufgrund seiner zahlreichen Erfindungen als uhrmacherisches Genie. Außerdem belieferte er mehrere europäische Königshäuser: Zu seinen Kunden gehörten Zar Nikolaus I. von Russland, Königin Marie-Antoinette von Frankreich und die Königin von Neapel, Caroline Murat.

Eine Grundidee, unzählige Umsetzungen

Zahlreiche Uhrmacher und Manufakturen haben das Tourbillon im Laufe der Jahre weiterentwickelt und verbessert. Eine prominente Variante ist das sogenannte fliegende Tourbillon, das 1920 von Alfred Helwig erfunden wurde. Beim fliegenden Tourbillon verzichtet man auf die obere Lagerbrücke des Käfigs. Die Lagerung erfolgt also ausschließlich auf der Unterseite des Drehgestells.

Das Gyrotourbillon von Jaeger-LeCoultre ist eine weitere, sehr junge Weiterentwicklung des Tourbillons. Die Manufaktur aus Le Sentier stellte ihre erste Armbanduhr mit Gyrotourbillon 2004 vor und hat seitdem zwei weitere Generationen dieser Innovation entwickelt. Im Unterschied zu einem herkömmlichen Tourbillon rotiert der Käfig des Gyrotourbillons dreidimensional. Deshalb gleicht es schwerkraftbedingte Gangabweichungen in sämtlichen Lagen aus, egal ob vertikal, horizontal oder diagonal.

Besondere Uhren mit Tourbillon

Wer auf der Suche nach einer Tourbillon-Uhr ist, hat die Qual der Wahl. Fast alle namhaften Hersteller haben Zeitmesser mit dem kleinen „Wirbelwind“ im Angebot: von A. Lange & Söhne über Blancpain und Breguet bis hin zu TAG Heuer.

Bvlgari Octo Finissimo Tourbillon 102719
Bvlgari Octo Finissimo Tourbillon 102719Foto: Bert Buijsrogge

Die flachste Automatikuhr mit Tourbillon baut allerdings Bvlgari. Das 2018 vorgestellte Modell Octo Finissimo Tourbillon Automatic ist insgesamt nur 3,95 mm hoch. Das Kaliber BVL 288 bringt es auf sagenhafte 1,95 mm. Damit stellt die Manufaktur einen dreifachen Weltrekord auf: für die flachste Automatikuhr, die flachste Tourbillon-Uhr und die flachste Tourbillon-Uhr mit Automatik. Bvlgari erreicht diese meisterhaften Leistungen, indem sie den Käfig des fliegenden Tourbillons in einem Kugellager laufen lassen. Außerdem nutzt man eine periphere Schwungmasse auf der Gehäuserückseite. Der Durchmesser der bis zu 30 Meter wasserdichten Uhr beträgt 42 mm. Wer eine Octo Finissimo Tourbillon Automatic sein Eigen nennen möchte, sollte sich beeilen, denn die Rekorduhr ist auf 50 Exemplare limitiert. Die 2017 vorgestellte Version der Octo Finissimo mit dem Handaufzugs-Kaliber BVL 268 ist mit 5,00 mm nur 1,05 mm höher als die Automatic, jedoch nicht einfacher zu finden.

Deutlich wuchtiger ist die TAG Heuer Carrera ‚Tête de Vipère‘ Chronograph Tourbillon Chronometer. Dafür ist die 45 mm große Sportuhr der weltweit günstigste Chronograph mit Tourbillon: Ein Exemplar der auf 155 Uhren limitierten Auflage kostet weniger als 20.000 EUR. Außerdem lässt die Manufaktur die Präzision dieses Zeitmessers vom Observatoire de Besançon in Frankreich zertifizieren. Seit 2006 hat dieses Observatorium nur rund 500 Uhren mit dem Gütesiegel „Tête de Vipère“ ausgezeichnet.

Die Panerai Lo Scienziato Luminor 1950 Tourbillon GMT Titanio ist eine weitere, interessante Tourbillon-Uhr. Im Unterschied zu den meisten anderen Zeitmessern mit „Wirbelwind“ dreht sich die Unruh nicht um die senkrechte, sondern um die waagerechte Achse. Dank dreier Federhäuser reicht die Gangreserve der Handaufzugsuhr für 6 Tage. Auf der Rückseite des Kalibers P.2005 ist eine Gangreserveanzeige untergebracht. Darüber hinaus verfügt die Panerai-Uhr über eine Tag-Nacht-Anzeige und einen zweiten zentralen Stundenzeiger, der die Uhrzeit in einer anderen Zeitzone anzeigt. Das Gehäuse der 47 mm großen Uhr besteht aus Titan und ist deshalb spürbar leicht. Die Sonderedition ist dem Naturwissenschaftler Galileo Galilei gewidmet und auf 150 Exemplare limitiert.

Das Benu Tourbillon von Moritz Grossmann ist eine buchstäblich haarige Angelegenheit, denn für das sekundengenaue Einstellen der Zeiger kommt ein Sekundenstopp aus menschlichem Haar zum Einsatz. Ein kleines Büschelchen bremst vorsichtig den Unruhreif und hält damit das Werk an. Ebenfalls besonders ist der 16 mm große Unruhkäfig, der ganze drei Minuten für eine volle Umdrehung benötigt. Die Weißgold-Variante mit schwarzem Zifferblatt ist auf 10 Exemplare limitiert und damit besonders selten.

Ist das Tourbillon noch zeitgemäß?

Wenn der kleine „Wirbelwind“ ursprünglich für Taschenuhren erfunden wurde, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob ein Tourbillon heute in einer Armbanduhr noch sinnvoll ist. Schließlich trägt kaum jemand seine Uhr senkrecht in der Hosen- oder Jackentasche und Westen gehören bei den meisten Männern auch nicht mehr zum alltäglichen Outfit.

Durch den ständigen Wechsel der Lage am Handgelenk wirkt die Schwerkraft stets unterschiedlich auf die Unruh einer Armbanduhr. Deshalb scheint das Gyrotourbillon von Jaeger-LeCoultre die ideale Lösung zu sein, um maximale Präzision zu erreichen.

Doch auch andere Hersteller haben hochpräzise Uhren im Programm, ohne auf ein Tourbillon zu setzen. Uhrwerke von Rolex, Omega oder Grand Seiko gelten dank ihrer perfekten Verarbeitung, ausgereiften Technik und modernen Materialien als äußerst ganggenau.

Letztlich benötigt man also kein Tourbillon, um eine genaue Uhr zu haben. Dem „Wirbelwind“ bei der Arbeit zuzusehen, bereitet trotzdem Freude. Außerdem ist und bleibt das Tourbillon ein Meisterwerk der Haute Horlogerie.

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Über den Autor

Mathias Kunz

Ich arbeite seit 2015 als Redakteur für Chrono24 und beschäftige mich tagtäglich mit Uhren. Am meisten fasziniert mich dabei die feine Mechanik, die zum einen für Tradition und zum anderen für …

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