03/08/2024
 6 Minuten

Internationaler Frauentag: Wir gehören zur Uhrenfamilie

Von Sharmila Bertin
Frauen in der Uhrenbranche

Frauen in der Uhrenbranche

Jedes Jahr müssen wir gewisse Menschen daran erinnern, dass der 8. März kein „Frauentag“ ist und auch keine Gelegenheit, ihre Partnerin 24 Stunden lang mit Blumen, Dessous und anderen Artikeln zu überhäufen, die so belanglos wie nutzlos sind. Auch wenn ich noch immer den einen oder anderen Newsletter erhalte, in dem mir empfohlen wird, diese oder jene Uhr zu kaufen, einfach um die Tatsache zu feiern, dass ich zum weiblichen Geschlecht gehöre: Ich muss zugeben, der Zeitgeist ändert sich und solche Botschaften werden – Gott sei Dank – immer seltener.

Der 8. März ist weit davon entfernt, ein weiterer Valentinstag zu sein (ein Thema für einen weiteren Artikel), sondern wurde in den 1970er-Jahren von den Vereinten Nationen offiziell zum Internationalen Frauentag erklärt, um den Kampf der Frauen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu legitimieren. Es ist ein Tag, der dem feministischen Streben nach Gleichberechtigung gewidmet ist, denn so überraschend es für manche auch erscheinen mag, wir sind alle Menschen – ja, das sind wir!

Und wir machen fast die Hälfte der Weltbevölkerung (49,6 %) aus – das sind rund vier Milliarden Menschen, die nicht nur ein Existenzrecht haben, sondern auch das Recht auf gesundes Leben, Bildung, Sicherheit, freie Wahlen, zu entscheiden, was sie mit ihrem Körper machen wollen, einen Beruf auszuwählen, den Planeten zu bereisen, den gleichen Lohn zu erhalten… Kurz gesagt, in Freiheit, Anstand und Gelassenheit leben zu können.

Fortschritt ist langsam

Um ganz offen zu sein, ist die Uhrenindustrie eine Branche, die unter einem gewissen Sexismus leidet. Scheinbar gilt Mechanik als Männersache (mit Verlaub, die erste Armbanduhr wurde vom größten Uhrmacher der Welt für eine Königin hergestellt, die zu seinen wichtigsten und treuesten Kunden gehörte), und Uhren von Marken im mittleren und oberen Segment sind für Frauen zuweilen nicht erschwinglich, denn wie wir wissen, verdienen sie im Allgemeinen deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen.

With half of the world's population, there are plenty of wrists to dress.
Die Hälfte der Weltbevölkerung ist weiblich – es gibt also viele weibliche Handgelenke zu schmücken.

Natürlich kann ich nicht für alle Geschlechtsgenossinnen sprechen, aber ich kann das teilen, was ich in meinen 19 Jahren in der Branche erlebt und beobachtet habe. Die gute Nachricht ist, dass sich die Industrie der Dichotomie bewusst ist und gemeinsam mit einigen Marken nach und nach versucht, inklusiver zu agieren. Immerhin sprechen wir hier von vier Milliarden Frauen – das sind viele Handgelenke, an die man Uhren schnallen kann!

Das Ende von Diamanten, Perlen und Blumen?

Lange Zeit beschränkte sich die Uhrmacherei für Frauen weitestgehend darauf, für Männer konzipierte Modelle zu verkleinern und sie wahlweise mit einem Diamantband, ein paar floralen Gravuren, etwas Perlmutt sowie jeder Menge Pastelltöne zu ergänzen. Alldem lag ein infantiles Frauenbild zugrunde, nach dem sie „zu doof“ waren, um die wahre Schönheit der mechanischen Uhrmacherei zu verstehen – demnach wurden die meisten Damenuhren auch von Quarzwerken angetrieben.

Im Jahr 2011 begann ich meine Karriere als Journalistin mit Fokus auf die Uhrmacherei. Zeitgleich wendete ich mich gegen diesen systematischen Verniedlichungsprozess, der die Kreativität dämpft, sowie die vermeintliche Notwendigkeit, Uhren nach Geschlecht zu kategorisieren. Ich spreche nicht von Kategorien wie Sportuhren, Chronographen usw., sondern vielmehr von der Definition, wer eine bestimmte Uhr tragen soll.

Die Zeit kennt kein Geschlecht

Eines der wenigen Dinge, denen wir alle gleichermaßen unterworfen sind, ist die Zeit. Sie zieht sich durch unser Leben, egal, ob wir jung oder alt, reich oder arm, der einen der anderen Nationalität angehören, männlich oder weiblich sind… Sie ist universell und Marken sollten dies berücksichtigen, bevor sie ein Produkt auf eine bestimmte Zielgruppe ausrichten. Auch wenn hier eine allmähliche Zeitenwende einsetzt, besteht bei den meisten Marken immer noch eine Kluft zwischen den Geschlechtern.

Physical barriers can hinder people with smaller wrists to put on watches they actually like.
Vermeintliche Barrieren können Menschen mit schmaleren Handgelenken davon abhalten, die Uhren zu tragen, die ihnen eigentlich gefallen.

Wenn ich auf einer Website nach einer Uhr suche, möchte ich dies nach Material, Funktionalität, Durchmesser oder anderen Merkmalen tun können, und nicht danach, was ich laut einer Uhrenmarke tragen soll. Wahlfreiheit ist ein Grundrecht, und die Errichtung psychologischer Hürden, z. B. Frauen zu raten, bestimmte Uhren anderen vorzuziehen, weil erstere für ihr Geschlecht besser geeignet seien, schränkt dieses Recht ein. Dies ist frustrierend, kaufhemmend und spiegelt eine sexistische Einstellung wider. Die Ausrede „es kommt auf den Markt an“, weil diese Kategorisierung in einigen Ländern angeblich bevorzugt wird, gilt nicht.

Mechanik für alle

Die Behauptung, Frauen würden sich mit Quarzuhren „wohler fühlen“, ist so allgegenwärtig wie ärgerlich. Wie bereits erwähnt, wurde die erste Armbanduhr nicht nur von einer Frau beauftragt (im Jahr 1810), von einer Frau gekauft (im Jahr 1811) und von einer Frau getragen (im Jahr 1812) – sie war auch mechanisch.

Es ist nicht wirklich eine Frage der Vorlieben, sondern eher eine Frage der kulturellen Normen – und des Angebots. Je mehr mechanische Uhren hergestellt werden, desto mehr Menschen werden sie tragen. Durch die breite Verfügbarkeit entsprechender Uhrwerke sowie die Entwicklung von Versionen mit kleineren Durchmessern bei gleicher Leistung – so wie Bvlgari es mit der Piccolissimo tut – können wir endlich die Vorurteile über die Präferenzen von Frauen ausräumen. Meine Großmutter trug mechanische Uhren, meine Mutter trägt mechanische Uhren, meine Tochter trägt mechanische Uhren – dabei sind wir nicht einmal eine Familie mit einer reichen Uhrmachertradition!

Die „genderfluide“ Welle

Um den Diktaten unserer heteronormativen Gesellschaft entgegenzuwirken, haben „genderfluide“ bzw. „nichtbinäre“ Ansätze und damit die Verwischung der Grenzen zwischen männlich und weiblich (und dabei geht es nicht um eine sexuelle Orientierung!) eine breitere Sicht auf die Welt mit sich gebracht, die vor rund fünf Jahren auch in unsere Branche eingedrungen ist.

Hublot's Big Bang embraces a spectrum of colors and sizes, catering to both men and women.
Die Big Bang von Hublot umfasst ein ganzes Spektrum an Farben und Größen, die sich sowohl an Männer als auch Frauen richten.

Hublot beispielsweise bietet die Big Bang, ein Modell, das schon lange einem eher männlichen Publikum zugeordnet ist, in verschiedenen Farbtönen an, die es an die Handgelenke von Frauen geschafft haben – oder die Marke versucht, Männer für Pastellfarben zu begeistern. Insbesondere das hauseigene Kaliber Unico hat sich in dieser Hinsicht weiterentwickelt und passt nun in ein 42-mm-Gehäuse. Damit hat der Hersteller auch andere dazu inspiriert, die Dinge auf den Kopf zu stellen. So machte Zenith seine Chronomaster Sport-Linie zu einem universellen Produkt, Oris ergänzte seine ProPilot X-Linie um eine lachsfarbene Zifferblattvariante und Tissot brachte die Unisex-PRX heraus. Doch alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen, und so sind relativ wenige Marken bereit, ihre Komfortzone zu verlassen, womit die Verbindung zwischen Mechanik und der Maskulinität bzw. die unerträgliche Assoziation von Diamanten, Perlmutt und Blumen mit der Femininität ungewollt aufrechterhalten wird.

Verbesserung der Ergonomie

Ein weiteres Thema, über das wir sprechen müssen, ist die Länge von Armbändern und Schließen, insbesondere Faltschließen. Wenn ich in Boutiquen nach einem kürzeren Lederarmband fragte, musste ich mir oft so etwas anhören wie „Es ist eine Herrenuhr“ (als würde dies den Standard rechtfertigen), oder wenn ich einige Armbandglieder entfernen wollte: „Ist das die Uhr Ihres Mannes?“. Und ich spreche hier nicht von Boutiquen der Mittelklasse, sondern von Zeitmessern, die über 8.000 EUR kosten. Was Schließen betrifft, so sind sie selten für alle Handgelenke ergonomisch angepasst: Sie können hervorstehen und unbequem sein, wodurch die gesamte Uhr durch das Kippen des Gehäuses nach außen aus dem Gleichgewicht gerät.

Es gibt Männer, die kleinere Größen tragen als ich (ich denke da an meinen kleinen Bruder, der ein Vintage-Sammler ist und es gewohnt ist, Uhren mit einem Durchmesser von 36 bis 38 mm zu tragen) und/oder deren Handgelenke genauso schmal sind wie meine (ca. 15,5 mm). Es ist also keine Frage der Geschlechtszugehörigkeit, sondern vielmehr eine der Formenlehre und des Geschmacks. Idealerweise sollten Armbänder, wie in der Modebranche, in drei Längen (S, M und L) mit passenden Verschlüssen erhältlich sein. Und Verkäufer sollten darin geschult sein, eine Kundin, die mit ihrem 42-mm-Chronographen zur Anprobe kommt, wie eine Kundin zu behandeln!

Internationaler Frauentag 2024: ein Tag des Handelns

Bisher habe ich mich auf die Uhr selbst konzentriert, aber da der Internationale Frauentag ansteht, muss ich auch auf den Mangel an Frauen in Schlüsselpositionen der Branche hinweisen. In diesem Jahr haben die Vereinten Nationen das Thema des Tages als „In Frauen investieren: den Fortschritt beschleunigen“ definiert, und hier müssen wir feststellen, dass Führungspositionen in der Uhrenbranche überwiegend von Männern besetzt sind. Die wenigen Frauen, die Führungspositionen bekleiden, werden sehr oft heftig kritisiert, manchmal sogar persönlich angegriffen.

Hierbei geht es um eine ganze Weltanschauung, die überprüft und neu ausgerichtet werden muss – angefangen bei den Einstellungs- und Beförderungsrichtlinien, um den tief verwurzelten Sexismus zu überwinden, Vertrauen zu schaffen und das stetige Bestreben der Frauen anzuerkennen, sich jeder Herausforderung zu stellen und zu beweisen: Ja, auch wir gehören zu dieser großartigen Uhrenfamilie dazu!


Über den Autor

Sharmila Bertin

Als ich vor fast 20 Jahren in die Schweiz zog und im Omega-Hauptquartier zu arbeiten begann, wurde mir schon früh gesagt, dass man die Welt der Uhrmacherei, wenn man sie einmal betritt, nie wieder verlassen wird – und das hat sich für mich bewahrheitet.

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