Die französische Marke Yema zählt zu dem kleinen Kreis der Hersteller, die es sich in den Kopf gesetzt haben, der französischen Uhrmacherei zum Comeback zu verhelfen. Dabei bedarf die Terminologie „Comeback“ einiger erläuternder Worte. Der Industrieverband der französischen Uhrmacherei nennt immerhin eine Anzahl von fast 3000 beschäftigten in 92 Betrieben. Eine ungleich höhere Zahl lebt in den grenznahen Ortschaften in Frankreich, pendelt aber zum Arbeiten in die Schweiz, wo über 60.000 Menschen in dieser Branche tätig sind. An Uhrenmarken und Zulieferbetrieben mit Sitz in Frankreich mangelt es also nicht. Woran es aber wohl mangelt, ist die Fertigungskompetenz kompletter mechanischer Uhrwerke in signifikanten Stückzahlen, sowohl was Werkezulieferer als auch in-house Werke betrifft.
Das war nicht immer so, dann Yema hat mit einer über 70-jährigen Historie noch die Zeiten erlebt haben, in denen Firmen wie France Ebauches, LIP, Lorsa oder Ultra in Frankreich die Herzen französischer Zeitmesser herstellten. Heute ist davon praktisch nichts mehr übrig, doch Yema befindet sich, zusammen mit einer Hand voll weiterer Marken, mitten auf dem Weg hin zu einer französischen Uhrenindustrie, die ihre Werke wieder im eigenen Land herstellen kann.
Dass dabei so manche Herausforderung zu meistern ist und eine solche Entwicklung nur Stück für Stück und nicht aus dem Stehgreif zu bewerkstelligen ist, versteht sich von selbst. Werfen Sie mit uns einen Blick auf die Meilensteine, die Yema bereits überwunden hat, welche signifikanten Ereignisse und Uhrenmodelle die Firmengeschichte hervorbrachte und wie die Marke nach den Sternen greift – der Uhr mit einem Uhrwerk 100 % Made in France.
75 Jahre bewegte Firmengeschichte
Yemas Geschichte beginnt 1948 in Besançon, der einstmaligen Hauptstadt der französischen Uhrmacherei. Gegründet wurde die Marke von Henry Louis Belmont, einem in Besançon geborenen und ausgebildeten Uhrmacher, der es bis zum technischen Direktor der heimischen Uhren- und Uhrwerksfabrik Lip gebracht hatte. Entwaffnend pragmatisch und vielleicht etwas typisch für einen Techniker war seine Herangehensweise bei der Namensfindung für seine zukünftige Marke: Er stellte in einem Schülerwettbewerb die Aufgabe, einen möglichst griechisch klingenden und bisher ungenutzten Namen zu ersinnen. So wurde Belmont die Beauftragung einer Werbeagentur oder zumindest einiges an Kopfzerbrechen erspart, und der Name Yema war geboren.
In den folgenden zwei Jahrzehnten mauserte sich Yema zum damals größten französischen Uhrenexporteur. Flankiert wurde dieser Aufstieg von einer beachtlichen Kollektion eigenständiger Zeitmesser. Diesem Umstand es zu verdanken, dass Yema trotz den Wirren zahlreicher Besitzerwechsel und der damit verbundenen Kursänderungen auf echte Vintage-Modelle aus der Firmenhistorie zurückgreifen kann. Wo andere Marken beim Design in die Retro-Trickkiste greifen müssen und oftmals auf fragwürdige Weise eine scheinbare Historie konstruieren, kann Yema aus dem vollen schöpfen. Angesichts der Beliebtheit, die Modelle im Vintage-Look derzeit genießen, kann das als handfester Wettbewerbsvorteil gelten.
Yemas ikonischsten Modellen werden wir uns im nächsten Teil des Artikels ausführlicher widmen. Kommen wir zunächst zurück auf die dynamischen Besitzverhältnisse der Marke. Der erste Besitzerwechsel sollte 1982 erfolgen, mit dem Verkauf an den Industriekonzern Matra, einem Unternehmen, das unter anderem in der Luftfahrt- und Automobilindustrie tätig war, und – warum auch immer – eine Uhrensparte namens Matra Horlogerie gründete. Geleitet wurde Matras Uhrensparte von niemand geringerem als Richard Mille, in dessen Amtszeit auch ein Modell fällt, das erkennbar Designmerkmale der heute omnipräsenten, nach ihm benannten Marke aufweist: Die Yema Bipôle North Pole.
Noch bevor Herr Mille Matra verließ, ging die Uhrensparte 1987 als CGH, Compagnie Générale Horlogère, im Seiko-Konzern auf. Was in den späteren Jahren aus Richard Mille werden sollte, ist weithin bekannt. Matra schloss sich mit einer der Entwicklerfirmen der Concorde, Aérospatiale, zusammen, die wiederum heute in Airbus aufgegangen ist. Yema stand indessen eine ungewisse Zukunft bevor, denn Seiko interessierten primär die Vertriebsmöglichkeiten der europäischen Akquise, nicht aber der Erhalt von Wertschöpfung und Fertigungskompetenzen in der französischen Heimat der erworbenen Marken. Dem Abbau der Fertigungskapazitäten fielen auch zahlreiche Arbeitsplätze in Frankreich zum Opfer.
2004 übernahm der damalige Geschäftsführer der CGH die Marke Yema von der Seiko-Gruppe, was aus Yema wiederum eine rein französische Marke machte, der man zu altem Glanz verhelfen wollte. So ganz wollte das nicht gelingen, denn 2009 wechselte Yema ein letztes Mal den Besitzer, und kam bei der Groupe Ambre mit Sitz in Morteau unter. Morteau ist mit Besançon eine der wichtigsten Adressen in Sachen französischer Uhrmacherei, und liegt fußläufig zur Schweizer Grenze. In der Stadt, die wie auch Besançon unter der Abwanderung der uhrmacherischen Wertschöpfung gelitten hat, tüftelt man intensiv an einem Comeback der französischen Uhrmacherei. Hersteller wie Pequignet treiben hier, wie auch Yema, die Vertiefung der Fertigungskompetenzen in Richtung eigener Kaliber voran. Währenddessen sorgt die renommierte Uhrmacherschule Lycée Edgar Faure für das hierfür dringend benötigte, hochqualifizierte Personal. In diesem fruchtbaren Umfeld liegt heute auch der Sitz von Yema.
Yemas ikonische Modelle – Authentische Neuinterpretationen der Originale
Nach dem Abriss der historischen Ursprünge von Yema und des Städtchens Besançon wird es höchste Zeit, über Yemas Kollektion zu sprechen. Wie bereits angedeutet, befindet sich Yema hier in der komfortablen Lage, auf einen reichen Schatz an authentischen, historischen Modellen zurückgreifen zu können, die man sorgsam an den heutigen Geschmack anpasst.
Von besonderem Interesse, teils aus historischer Sicht, teils mit Blick auf die derzeitigen Entwicklungen bei Yema, sind die Modelle Superman, Rallygraf, Yachtingraf und Wristmaster.
Superman
Die Superman darf wohl als ikonischster Zeitmesser von Yema gelten, und ihre modernen Interpretationen stellen das Bestsellermodell der Marke dar. Die ursprüngliche Superman erschien 1963 als Taucheruhr mit 300 Meter Wasserdichtigkeit und einem unverkennbar zeittypischen Design, das sich unter anderem in der Typografie der Indizes äußerte. Technisch auffällig ist eine Konstruktion bei drei Uhr, die man zunächst für einen Kronenschutz halten könnte. Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein Sperrmechanismus für die bidirektionale Lünette, der mit der Schraubkrone verbunden ist und die Sicherheit bei Tauchgängen erhöhte. Auch das einzigartige Stahlarmband im Fischschuppen-Look, mit dem die Superman bereits damals zu erwerben war, soll nicht unerwähnt bleiben. Die Uhrwerke stammten damals noch aus französischer Produktion – ein Zustand, den Yema zukünftig wieder anstrebt und teilweise bereits realisiert hat. Zumindest ein Exemplar aus den frühen Jahren der Superman konnte ich auf dem Chrono24-Marktplatz finden, leider ohne besagtes Stahlarmband.
Die markentesten Features der historischen Superman-Modelle finden in der gleichnamigen Kollektion im derzeitigen Katalog von Yema erneut ihren Platz.
Ob als Superman 500 ohne oder mit Datum (dann als Superman 500 Dato), mit Bronzegehäuse und Manufakturwerk oder als GMT-Modell: Hier dürfte jeder Freund authentisch gestylter Retro-Taucher glücklich werden. Zeitgemäße Funktionalität wird durch eine Wasserdichtigkeit von 500m beziehungsweise 50 bar sichergestellt, die bei nichtverschraubter Krone sogar noch bei 3 bar liegt. Die meisten Modelle sind darüber hinaus in 41 mm sowie in 39 mm Durchmesser erhältlich, was die Superman-Modelle für jeden Träger geeignet und Unisex-tauglich macht. Im Inneren der Modellvarianten findet der Käufer verschiedene Uhrwerke mit jeweils variierenden Anteilen heimischer Wertschöpfung wider – aber dazu mehr im letzten Abschnitt.
Rallygraf und Yachtingraf
1966, genau zu jener Zeit, als sich Yema für über 90 % der französischen Uhrenexperte verantwortlich zeichnete, erschienen zwei weitere ikonische Modelle, die auch heute wieder das Sortiment des Herstellers beehren. Eins davon ist der Rallygraf, der thematisch unverkennbar im Motorsport zu verorten ist, und dessen Design wohl am lautesten nach den 60ern schreit.
Damals wurde der Rallygraf, der selbstverständlich mit einem Chronographenwerk ausgestattet ist, von einem Valjoux-Werk der damaligen Produktion angetrieben. Auch in seiner modernen Interpretation kann man Varianten mit dem kontemporären Valjoux 7753 erwerben, doch der überwiegende Teil der Rallygraf-Kollektion wird von Seiko VK64 Meca-Quartz-Kalibern ausgestattet. Diese weisen einen mechanisch aktuierten Chronographenmechanismus auf, der haptisch gefällig ist, kombiniert mit einem Quarzwerk als Basis, so dass man auch für bescheidene Summen in den Genuss eines Chronographs kommen kann. Selbst eine Dreizeigervariante gänzlich ohne Stoppmechanismus, dafür aber mit einem Yema-eigenen Werk ist erhältlich.
Im selben Jahr wie der Rallygraf gesellte sich auch der Yachtingraf in die Kollektion von Yema. Dieser auffällige, maritime Zeitmesser bot per modifiziertem Minutenzähler die Möglichkeit, den zehnminütigen Countdown vor einer Segelregatta in die Messung einzubeziehen. Die heutige Version des Yachtingraf hat die ursprüngliche Funktion des Zeitmessers aufgegeben und durch ein Tourbillonwerk mit Gezeitenkomplikation ersetzt, was ihn zum eindeutigen Flaggschiff der Marke macht.
Wristmaster
Zu guter Letzt darf die Kollektion Wristmaster nicht unerwähnt bleiben, wenn sie auch in den Jahren ihres ursprünglichen Erscheinens nicht an den nachhaltigen Erfolg der zuvor genannten Modellen anknüpfen konnte. Heute ist die Kollektion für Yema aber umso wichtiger, denn die Wristmaster der 60er-Jahre dient heute als Steilvorlage für eine moderne Interpretation der omnipräsenten Edelstahl-Sportuhr mit integriertem Armband.
Der weite Weg zum Uhrwerk „Made in France“
Zu guter Letzt darf der Blick auf das technische Herzstück der Yema-Zeitmesser nicht fehlen. Gerade was die Uhrwerke angeht treibt Yema eine bemerkenswerte Made en France-Offensive voran, mit der man sich Stück für Stück einem gänzlich in Frankreich gefertigten und montierten Kaliber nähert.
Zu Beginn dieses Vorhabens stand die Einführung des Kalibers MBP 1000 im Jahr 2011. Die Konstruktion dieses Werks orientiert sich weitgehend am ETA 2824-2, jedoch mit einem größeren Durchmesser von 28 mm statt den 25,6 mm des ETA. Die Komponenten wurden teils in China gefertigt, jedoch in Frankreich montiert. Mittlerweile wurde das MBP 1000 durch das MBP 2000 abgelöst, bei dem gewisse Komponenten wie der Regulierungsmechanismus sowie das Wechselgetriebe der Automatikbaugruppe optimiert wurden. Auch hier spricht man von einer französischen Entwicklung und Endmontage, wobei die Einzelteile weiterhin aus nicht näher genannten Quellen zugekauft werden. Als MBP 3000 ist eine Variante mit GMT-Komplikation erhältlich, die folgerichtig Modelle wie die Superman 500 GMT antreibt.
Die bis jetzt genannten Kaliber laufen bei Yema unter der Kategorie „Standard Grade“. Richtig interessant wird es bei jenen Kalibern, die Yema unter „Manufacture Grade“ führt. Hinter diesen steckt primär der Konstrukteur Olivier Mory, der mit seiner Firma OM Mechanics unter anderem Entwicklungsdienstleistungen für Uhrwerke anbietet. Zusätzlich hat man sich die Expertise des erfahrenen Entwicklers Patrick Augereau gesichert, der seinem ehemaligen Arbeitgeber, Audemars Piguets Komplikationsschmiede Renaud & Papi, mehrere Patente bescherte.
Aus der fruchtbaren Zusammenarbeit mit Mory entstanden bisher drei Kaliber, das CMM.10, das CMM.20 und das CMM.30, was jeweils für Calibre Manufacture Morteau steht.
Den Anfang machte das CMM.20, ein Mikrotorkaliber mit 70 Stunden Gangreserve, das Olivier Mory bereits in der Hinterhand hatte, und sich bei Yema vorzüglich anbot, um der Kollektion ein begehrenswertes, exklusives Kaliber hinzuzufügen. Anders als bei den Kalibern MBP 1000, 2000 und 3000 sind in den CMM-Kalibern keine Komponenten aus Fernost verbaut, sondern ausschließlich solche aus Frankreich und der Schweiz im Umkreis von etwa 70 Kilometern um den Firmensatz. Platinen und Brücken fertigt Yema höchstselbst im eigenen Maschinenpark in Morteau. Sie werden, wie auch die anderen CMM-kaliber, matt beschichtet und verzichten auf Perlagen und Streifenschliffe, was den Kalibern einen futuristischen, reduzierten Look verleiht. Die Unruhe wird von einer stabilen Brücke beidseitig fixiert, wie es bei vielen modernen Konstruktionen, etwa bei den Kenissi-Werken für Tudor, üblich ist.
Den Einstand feierte das Werk in der Wristmaster Micro-Rotor, die man als Edelstahl-Sportuhr im Genta-Look neu interpretierte und per Crowdfunding auf Kickstarter zu reduzierten Preisen anbot. Ein mittlerweile übliches Vorgehen bei Yema, das Kurzentschlossenen die Möglichkeit gibt, neue Modelle unter den späteren Listenpreisen erstehen zu können.
Obwohl das Kaliber CMM.20 mit einer Höhe von nur 3,7 mm, bedingt durch die Mikrotorkonstruktion, sehr flach baut, scheint es nicht für zukünftige Erweiterungen vorgesehen zu sein. Diese Rolle wird das CMM.10 ausfüllen.
Als klassisches Automatikwerk mit den heute üblichen 70 Stunden Gangreserve und konventionellem Rotor ist es prädestiniert, das neue Standardwerk der Marke zu werden, das sukzessive um weitere Funktionen ergänzt werden soll.
Zum jetzigen Zeitpunkt warten die ersten Modelle mit diesem Werk, die Superman CMM.10 in Stahl oder Bronze, auf ihre Auslieferung. Die Crowdfunding-Runde endete im November. Über den konventionellen Weg per Onlineshop können Modelle mit dem CMM.10 nun ebenfalls vorbestellt werden.
Das dritte, exklusivste Uhrwerk aus der Riege der CMM-Reihe wartet auch auf seine Einschalung und Auslieferung, und zwar in der Yachtingraf Maréographe. Für diese auf jeweils 75 Stück pro Gehäusevariante limitierte Serie steuert Olivier Mory ein Tourbillonwerk bei, das neben der bereits erwähnten Gezeitenkomplikation auch die Schallmauer eines fünfstelligen Preises nur knapp überschreitet. Für Thomas Baillods Marke BA111OD steuerte Mory bereits ein Tourbillonwerk bei, das eine Offerierung der Uhr für ca. 5000 Schweizer Franken ermöglichte. An diese für derartige Werke knappe Kalkulation hält man sich auch im Hause Yema.
Sicher ist dies auch der Tatsache geschuldet, dass das CMM.30 auf aufwendige, manuelle Verzierungen verzichtet. Dabei muss man sich ins Gedächtnis rufen, welche Preise anderweitig für Tourbillons mit entsprechender Finissierung aufgerufen werden. Der Yachtingraf Maréographe präsentiert sich mit 105 Stunden Gangreserve und 10 bar Wasserdichtigkeit als zeitgemäß und alltagstauglich – und genauso preist ihn Yema auch an.
Wo steht Yema heute und wo steuert die Marke hin?
Mit einer Produktion von etwa 30.000 Modellen pro Jahr, Direktvertrieb und der regelmäßigen Nutzung von Crowdfunding, um neue Technologieträger auf den Markt zu bringen, scheint die Marke ihre Strategie und Marktnische gefunden zu haben. Zukünftig will man verstärkt auf die Manufakturkaliber setzen und das bisher investitionslastige Wachstum durch langfristige Rentabilität ablösen.
Wer zum ersten Mal auf diese Marke stößt, könnte sie für eine von unzähligen Microbrands halten, die mit Kickstarter-Aktionen und Retro-Designs um Käufer buhlt. Tatsächlich verbirgt sich hinter Yema eine Marke mit authentischer, wenn auch bewegter Historie, die sich unter der Ägide ihrer jetzigen Besitzer zu einer ernstzunehmenden, unabhängigen Uhrenschmiede entwickelt.
Apropos: Wie steht es um das Ziel eines hundertprozentigen, französischen Uhrwerks? Derzeit spricht Yema von 80 % heimischer Wertschöpfung bei den Komponenten des CMM.20, während 20 %, darunter sicherlich Hemmungssysstem und Zugfeder, aus der Schweiz stammen. Um auch die letzten Komponenten von heimischen Zulieferern zu beziehen oder gar selbst zu fertigen, werden die Hürden ungleich höher sein, als dies etwa bei Platinen oder Zahnrädern der Fall ist. Zuzutrauen ist es der Marke angesichts der Dynamik ihrer derzeitigen technischen Entwicklung allemal.