Es ist Oktober 2022, ich sitze abends in meiner Wohnung in Karlsruhe und tätige eine Überweisung von 423,33 €. Mein Herz schlägt. Sie werden möglicherweise lachen, aber so viel habe ich noch nie zuvor für eine Uhr ausgegeben. Ich tippe die finalen Zahlen in das Textfeld ein und drücke ein letztes Mal auf „Bestätigen“. Fertig. Die Transaktion wird innerhalb der nächsten Werktage durchgeführt.
Als junger Mensch (und als Sandwichkind zwischen Gen Y und Gen Z zähle ich mich noch dazu) gibt es so viele Möglichkeiten, Chancen, so viele Orte, die wir in jungen Jahren bereisen können. Schon als Jugendliche war mir klar, dass ich eines Tages nach New York möchte. Tokio kam Jahre später auf meine imaginäre Bucket-List an Städten, die ich eines Tages sehen will. Dass gerade meine Uhr, tatsächlich die einzige, die ich bislang besitze, es geschafft hat, diese beiden Städte und Länder vor mir zu bereisen, bringt mich oft zum Schmunzeln. Doch springen wir an den Anfang der Reise meiner Seiko Presage Cocktail Time SRPF54.
Mein Wink mit dem Handgelenk
Es war Sommer in Deutschland und das bedeutete: endlich keine langen Hosen, keine Pullis, keine Jacken. Im T-Shirt schlenderte ich durch die Flure des Chrono24-Büros in Karlsruhe als es passierte … mit einer unachtsamen Handbewegung schlitterte mein Handgelenk am Rahmen einer Tür entlang.
Zugegeben, das ist nicht das erste Mal gewesen, dass ich gedankenverloren an einer Tür hängengeblieben bin, doch diesmal gab es eine weitere Leidtragende: meine Uhr. Die Splitter der vergleichsweise günstigen Quarzuhr lagen in meiner Hand, Unglauben in meinem Gesicht. Schnell verstaute ich das Stück in der Schublade meines Rollcontainers und traute mich erst ein paar Tage später, sie zu obduzieren. Vielleicht kein hoffnungsloser Fall, dachte ich, doch anstatt Geld für die Reparatur des Glases auszugeben, könnte ich doch Ausschau nach einer richtigen Uhr halten … Der Gedanke war gesät, die Suche begann – der Wink mit dem Handgelenk stellte sich als Wink mit dem Zaunpfahl heraus.
Es ging an die Planung
Mein Arbeitsalltag dreht sich um Luxusuhren und somit kam ich schnell an Infos, die mir beim Kauf meiner ersten richtigen Uhr behilflich waren. Der Hersteller stand für mich recht schnell fest: Seiko ist bekannt für preiswertere, doch hochwertige Uhren und ja, der Preis spielte für mich eine Rolle. Ich war noch nicht bereit, einen vierstelligen Betrag für eine Uhr auszugeben. Fragen Sie mich heute, dann sieht das Ganze schon etwas anders aus … doch nicht vor einem Jahr. Ich hatte erst Monate zuvor mein Studium abgeschlossen, ich arbeitete endlich Vollzeit und mein Bankkonto wollte ich nach der Einrichtung meiner neuen Wohnung vorerst schonen.
Als ich online durch Modelle von Seiko stöberte, sprang sie mir nahezu ins Auge: die Seiko Presage Cocktail Time SRPF54. Ich sah eine Uhr im Edelstahlgehäuse mit roségoldenen Elementen, die sich auch im Bicolor-Stahlarmband wiederfanden. Was meine Aufmerksam auf sich zog, war das Zusammenspiel der Farben der beiden Metalle und dem Zifferblatt, das vom Hersteller als rosa bezeichnet wird und ich eher als apricot empfinde. Direkt sichtbar ist auch das aufs Zifferblatt gepresste Muster, fast schon wie willkürliche Verformungen in Baumrinde oder ein seichter Wellengang auf dem Meer. Mit 33,8 mm an Durchmesser würde sie nicht über mein schmales Handgelenk hinausragen und anders als man es von einer Damenuhr erwarten würde, ist diese hier eine Automatik. Ich sprach es noch nicht laut aus, doch meine Entscheidung war in diesem Moment bereits gefällt.
Es wurde also ernst, denn der Kauf stand bevor. Wie bereits erwähnt: Diese Uhr ist die teuerste Uhr, die ich bisher gekauft habe. In meinem Kopf schwirrte die Zahl wie ein imaginärer Vorhang mitsamt Ideen, was ich mit fast 500 € alles machen konnte.
Hinzu kam der Nervenkitzel, dass meine Uhr auf Umwegen zu mir gelangen würde. Da es sich bei dieser Seiko Presage um ein US-Modell handelte, war sie nicht in der EU erhältlich. In Sachen Import bekamen meine Uhr und ich Hilfe von zwei Reisebegleitern.
Ich packe meinen Koffer und nehme mit …
Im November 2022 stand ein Get-together in Tokio an. Leider war es nicht ich, die hierfür ihren Koffer packte, sondern zwei Kollegen: einer aus New York und ein weiterer aus Karlsruhe.
Die Reise meiner Seiko startete beim Händler in den USA mit dem ersten Stopp in New York City. Dort angekommen, gelangte sie in den Koffer von Kollege A, der sich ein paar Wochen später nach Tokio aufmachte. 10.848,68 km Luftlinie und 14 h Zeitunterschied später kam sie an Stopp Nummer 2 in Tokio an. Hier kam es zu einem Güteraustausch: Kollege A übergab meine Uhr an Kollege B, Kollege B übergab einen Lamy-Kuli als kleines Dankeschön an Kollege A. Nach etwa einer Woche Aufenthalt in Japan war es Zeit für einen finalen Langstreckenflug. Nach 14 h 35 min landete meine Seiko in Kollege B’s Gepäck in Frankfurt und kam schließlich mit dem Zug in Karlsruhe an.
Als ich ein paar Tage später im Büro eintraf, lag die weiße Box bereits auf dem Schreibtisch. Ich war etwas nervös. Was, wenn ich die falsche Wahl getroffen habe? Was, wenn sie mir doch nicht gefällt? Dann wäre der ganze Aufstand umsonst gewesen …
Ich öffnete die Box und atmete auf.
The Love I Share
Liebe ich meine Seiko? In meinen Augen ist Liebe ein ziemlich mächtiges Wort. Für mich etwas zu mächtig, um es für die Sympathie zu einem materiellen Gegenstand zu verwenden. Stattdessen würde ich sagen, ich liebe einiges an meiner Seiko.
Zum Beispiel die Selbstverständlichkeit, mit der ich sie fast jeden Morgen anlege, weil sich mein Handgelenk ansonsten nackt anfühlt. Dass ich sie abends ablege und es manchmal so automatisch passiert, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Doch ich liebe es vor allem aus einem Grund auf meine Seiko zu schauen: Anflüge von Zweifel und Gedanken ans Risiko können manches Mal mitschwingen, doch die Möglichkeit zu haben, um den halben Globus zu reisen, ferne Orte zu sehen und Kulturen kennenzulernen, das ist für mich Freiheit. Und dieses Gefühl trage ich gerne an mir.