Seit einigen Jahren tendiert die Uhrenindustrie wieder vermehrt dazu, kleinere Uhren auf den Markt zu bringen. So überraschte beispielsweise Tudor jüngst mit einer auf 37 mm geschrumpften Version der Black Bay, Rolex brachte die Explorer in der historisch korrekten Größe von 36 mm zurück und bei Omega kann man die Seamaster Planet Ocean 600M – eigentlich bekannt für ihre üppigen Dimensionen – seit einiger Zeit mit einem Durchmesser von 37,5 mm bekommen. Die Liste ließe sich beliebig fortführen.
Doch was steckt hinter diesem Trend? Sind kleinere Uhren wirklich wieder so beliebt oder fällt den Uhrenherstellern einfach nur nichts anderes mehr ein, als die Vergangenheit zu recyceln? Schauen wir uns die Sache einmal genauer an.
Was versteht man unter kleinen Uhren?
Zunächst einmal sollten wir definieren, was wir meinen, wenn wir von kleinen Uhren sprechen. Gemeint sind Herren- und Unisex-Armbanduhren mit einem Durchmesser von 34 mm bis 39 mm. Damenuhren lassen wir in dieser Diskussion bewusst außen vor, da diese Uhrenklasse von je her mit deutlich kleineren Gehäusen daher kommen.
Ein Blick in die Vergangenheit
Seit die Herrenarmbanduhr im frühen 20. Jahrhundert ihren Siegeszug antrat, hat sich ihre gerade angesagte Größe immer wieder geändert. Um bequem unter eine Hemdmanschette zu passen, entschied man sich in den Anfangstagen für kleinere, flache Uhrwerke, um die schlichtweg ein Gehäuse konstruiert wurde. Anders ausgedrückt: Der Durchmesser einer Uhr wurde hauptsächlich von der Größe des Kalibers bestimmt. Da die Uhrwerke in der Regel zwischen 27 mm und 30 mm groß waren, ergab sich für die Uhren ein Durchmesser von ca. 32 mm bis 36 mm. Bei Dresswatches blieb dieses Größenverhältnis bis etwa in die 1980er-Jahre mehr oder weniger unverändert.
Bei Toolwatches sieht die Sache jedoch etwas anders aus. Gerade die Fliegeruhren der 1940er-Jahre legten in der Größe ordentlich zu. Diese waren, mit 50 mm Durchmesser oder mehr, selbst für heutige Verhältnisse geradezu riesig. Der Grund hierfür liegt in der einfachen Tatsache begründet, dass für den Antrieb dieser Uhren meist auf Taschenuhrwerke zurückgegriffen wurde. Diese waren robuster und zuverlässiger als die kleinen Uhrwerke, die damals in Dresswatches zum Einsatz kamen. Die Größe verbesserte zudem die Ablesbarkeit der Uhren.
Auch bei den in den 1950er-Jahren aufkommenden Taucheruhren war es absolut wichtig, dass sie unter allen Bedingungen perfekt ablesbar waren. Die Gehäusekonstruktion war zudem deutlich aufwendiger, um die benötigte Wasserdichtheit zu garantieren. Taucheruhren bewegten sich daher schon immer in einem Größenbereich von 38 mm bis 42 mm. Geschadet hat es ihnen nicht. Schnell fanden auch Nichttaucher an ihnen Gefallen und so entwickelten sich wasserdichte Toolwatches zu gefragten Alltagsuhren.
Die Luxussportuhren der 1970er-Jahre waren für die damalige Zeit ebenfalls ungewöhnlich groß. Die originale Royal Oak von Audemars Piguet brachte es beispielsweise auf einen Durchmesser von 38,8 mm, was ihr den Spitznamen „Jumbo“ einbrachte.
Die 1990er- und frühen 2000er-Jahre standen dann im Zeichen der XXL-Uhren. Marken wie Panerai, Hublot oder Breitling fluteten den Markt mit Modellen jenseits der 45-mm-Marke. Seit mehreren Jahren ist nun jedoch der umgekehrte Trend zu erkennen und die Uhren schrumpfen wieder.
Was sagt die Datenlage?
Doch wie wichtig ist der Durchmesser einer Uhr für die Kaufentscheidung? Ein Blick in die umfangreiche Datensammlung des Chrono24 Watch Collection Reports zeigt: Nur knapp 3 % der Nutzer verwenden bei der Suche nach ihrer Traumuhr auf dem Online-Marktplatz überhaupt den Filter für den Durchmesser.
Ein weiteres Indiz dafür, dass der Durchmesser einer Uhr beim Kauf eine untergeordnete Rolle spielt, sind die Modelle, die am häufigsten bei Chrono24 über die virtuellen Ladentische gehen. Unter den Top 10 der meistverkauften Uhren der letzten Jahre befinden sich mit der Seiko SNK63J5 sowie der Rolex Explorer Ref. 214270 nur zwei Modelle, die weniger als 40 mm messen. Der Rest sind alte Bekannte wie die Omega Speedmaster Professional Moonwatch, die Rolex Submariner Date oder die Rolex GMT-Master II.
Fazit
All das zeigt, dass die Leute kaufen, was ihnen gefällt. Natürlich sollte die Uhr ans Handgelenk passen, doch ist hier der Hornabstand (Lug to Lug) meist viel ausschlaggebender als der Durchmesser.
Doch wenn die Größe einer Uhr keine wirkliche Rolle spielt, warum sehen wir dann trotzdem so viele Hersteller, die kleinere Uhren auf den Markt bringen? Die Antwort ist relativ einfach: Die Uhrenindustrie erkennt Frauen endlich als ernstzunehmendes Marktsegment und versteht, dass Uhren für Damen nicht ausschließlich glitzernde Accessoires mit Quarzwerk sein müssen. Zudem wird Asien, wo die Menschen vornehmlich etwas kleiner (und vor allem schlanker) als in Europa oder Nordamerika sind, als Absatzmarkt immer wichtiger.
Wichtig ist auch zu sagen, dass keine der neuen kleinen Uhren die größeren Varianten des jeweiligen Modells ersetzt. Sie erweitern einfach das Sortiment. Für uns Uhrenenthusiasten ist das eine tolle Sache: wir müssen uns keinem Modediktat unterwerfen, sondern können weiterhin die Größe wählen, die uns am meisten gefällt.