05/04/2020
 4 Minuten

Sébastien Chaulmontets Weg zu Sellita

Von Jorg Weppelink
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Sébastien Chaulmontet’s Journey to Sellita

In unserer Reihe „Gesichter der Uhrenindustrie“ präsentieren wir Ihnen einige der herausragendsten Uhrmacher der Welt. Der folgende Artikel ist dem Schweizer Uhrwerk-Designer Sébastien Chaulmontet gewidmet. Wir reisen zurück in die Vergangenheit und begleiten ihn auf seinem Weg vom Uhrenliebhaber zum Innovations- und Marketingchef bei Sellita.

Die Uhrenindustrie ist schon eine eigenartige Branche. Sie definiert sich durch großartiges Design und Innovation, und doch wissen wir meist nur wenig über die genialen Erfinder und Tüftler, die unsere geliebten Uhren und Werke kreieren. Uhrendesigner halten sich gerne im Hintergrund – ganz anders als die Stardesigner der Schmuck-, Mode- und Schuhindustrie.

Glücklicherweise wagen sich immer mehr Designchefs aus dem Schatten heraus und gewähren uns einen Einblick in die Kunst des Uhrendesigns. Eine der bekanntesten Persönlichkeiten auf diesem Gebiet ist Sébastien Chaulmontet. Er begann seine Karriere als Rechtsanwalt und ist heute Leiter der Innovations- und Marketingabteilung beim Uhrwerkshersteller Sellita. Dieser Werdegang mag auf den ersten Blick nicht besonders naheliegend erscheinen, doch bei näherem Hinsehen fügen sich die Puzzleteile harmonisch zusammen.

Karrierestart als Rechtsanwalt

Nach Abschluss seines Jurastudiums im Jahr 2000 begann Chaulmontet zunächst als Rechtsanwalt zu arbeiten. Von 2000 bis 2007 konzentrierte er sich vornehmlich auf seine Anwaltstätigkeit. In seiner Freizeit jedoch widmete er sich seiner Passion, die den mechanischen Uhren galt – und besonders den Chronographen. Als er schließlich sein Doktorstudium antrat, hatte er bereits eigene Uhrwerke konstruiert – und so erschien der Sprung in die Uhrenindustrie nicht mehr so abwegig. Chaulmontet baute nicht nur seine eigenen Uhrwerke, sondern war auch leidenschaftlicher Sammler von Chronographen. Vor allem Vintage-Chronographen von Angelus hatten es ihm angetan. Diese Marke sollte in Chaulmontets Uhrmacher-Karriere eine entscheidende Rolle spielen, doch dazu später mehr.

Von La Joux-Perret zu Arnold & Son

Im Jahr 2008 war es für Chaulmontet an der Zeit, mit seiner Leidenschaft für Uhren den nächsten Schritt zu gehen. Er traf sich mit Frédéric Wenger, dem Geschäftsführer von La Joux-Perret, der ihn als Uhrmacher in Teilzeit in die Firma holte. Zwei Jahre später erwarb die Muttergesellschaft von La Joux-Perret die berühmte Marke Arnold & Son. Dies bot Chaulmontet und seinem Team nicht nur die Chance, unglaubliche neue Uhrwerke zu entwickeln, sondern komplette Uhren zu entwerfen. Bei La Joux-Perret lag der Schwerpunkt auf der Entwicklung von Uhrwerken für andere Marken. Die Übernahme verschaffte dem jungen Designer die Möglichkeit, der Welt zu zeigen, was er konnte.

Arnold & Son Royal Collection TB88
Arnold & Son Royal Collection TB88

Mit Wenger an der Spitze und Chaulmontet als technischem Ideengeber gewann die Marke Arnold & Son spürbar an Attraktivität. Sie glänzte nicht nur dadurch, dass sie bekannte Komplikationen auf ganz neue Weise präsentierte, sondern machte sich auch einen Namen mit ihren typischen zifferblattseitigen Komplikationen. Von Anfang an war es Chaulmontet ein Anliegen, neue technische Möglichkeiten zu erschließen, ohne dabei das Erbe der Marke aus den Augen zu verlieren. Dies erklärt auch die Kombination aus moderner Technologie und klassischer britischer Ausstrahlung. Die Uhrwerke bestechen durch ein hohes Maß an technologischer Innovation und bleiben dennoch den Errungenschaften des berühmten englischen Chronometerbauers John Arnold treu.

Comeback für Angelus

Doch dies war noch nicht die letzte Etappe für Chaulmontet. Im Jahr 2011 kaufte La Joux-Perret die berühmte Marke Angelus. Dies gab Chaulmontet die Gelegenheit, selbst herausragende Chronographen für die Marke zu entwickeln, deren Uhren er schon viele Jahre sammelte. Jedes Kaliber und jede Uhr, die er kreierte, wies eine Verbindung mit der reichen Geschichte von Angelus auf.

Im Jahr 2015 wurde die Angelus U10 Tourbillon Lumière die erste „neue“ Angelus-Uhr mit dem neu entwickelten Angelus-Kaliber A-100. Das fliegende Minutentourbillon beeindruckte Fans und Uhrenindustrie gleichermaßen. Chaulmontet entwarf daraufhin noch weitere unglaubliche Uhren für Angelus, bevor er 2017 den Entschluss fasste, als Innovations- und Marketingverantwortlicher zu Sellita zu wechseln.

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Tätigkeit als Autor und Einstieg bei Sellita

Neben seiner Tätigkeit als Uhrwerksdesigner bei Arnold & Son und Angelus brachte Sébastien Chaulmontet zusammen mit Co-Autor Joël Pynson 2016 das Buch Chronographs for Collectors heraus. Beide Autoren sind begeisterte Chronographen-Sammler und befassen sich in ihrem Werk mit 30 verschiedenen, historisch bedeutsamen Chronographen. Die eindrucksvollen Stücke sind durch wunderschöne Bilder illustriert. Darüber hinaus liefern die beiden Experten Hintergrundwissen zu jedem einzelnen Zeitmesser und stellen interessante Verbindungen zu anderen Marken und Kalibern her. Ein weiteres Beispiel für die Expertise und die Kreativität, die hinter allem stehen, was Sébastien Chaulmontet tut.

Chaulmontet begann 2017 bei Sellita. Die Firma mit Sitz im schweizerischen Chaux-de-Fonds produziert in erster Linie Uhrwerke für andere Marken. Es handelt sich also praktisch um ein reines B2B-Geschäft. Doch jetzt, wo Sébastien Chaulmontet und der ehemals für Christopher Ward tätige Uhrmacher Johannes Jahnke mit an Bord sind, entwickelt Sellita eine Reihe neuer Kaliber, die eine ganz neue Ära für das Unternehmen einläuten könnten. Seit seiner Gründung im Jahr 1950 ist Sellita vor allem als Montagebetrieb bekannt, der die Bausätze für seine Uhrwerke vom Industriegiganten ETA bezieht.

Sellita hat jetzt die Möglichkeit, sein Geschäft auszuweiten und noch mehr Marken mit seinen Uhrwerken zu beliefern – zumal der Werkehersteller ETA seine Produktion für andere Mitglieder der Swatch Group aktuell zurückschraubt. Diese Änderung der Marktsituation hat dazu geführt, dass viele Uhrenliebhaber nun mehr über die Sellita-Werke erfahren wollen, die in ihren Lieblingsuhren ticken. Gleichzeitig arbeiten mehr Uhrenmarken bei der Entwicklung von Uhrwerken mit Sellita zusammen, anstatt lediglich Rohwerke bei dem Unternehmen einzukaufen.

Die Zukunft von Sellita

Laut Sébastien Chaulmontet hat Sellita nicht die Absicht, in großem Umfang neue Uhrwerke zu entwickeln. Als Zulieferer für andere Marken bestehe keine Notwendigkeit für eine große Bandbreite an Kalibern. Die meisten Marken benötigten eine kleine Anzahl hochwertiger Kaliber für ihre Uhren. Mit Chaulmontet als Leiter des Uhrwerksdesigns können wir uns meines Erachtens auf neue Kaliber mit innovativen Features freuen. Und wer weiß, vielleicht werden diese sogar zum neuen Standard in der Industrie. In jedem Fall sehen sowohl Sellita als auch Sébastien Chaulmontet einer erfolgreichen Zukunft entgegen.

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Über den Autor

Jorg Weppelink

Hallo, ich bin Jorg und schreibe seit 2016 Artikel für Chrono24. Meine Beziehung zu Chrono24 reicht jedoch deutlich weiter zurück, denn meine Liebe zu Uhren erwachte …

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