09/10/2020
 6 Minuten

Online-Uhrenkauf: Neu oder gebraucht?

Von Tom Mulraney
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Buying Watches Online: New or Pre-Owned?

Noch bis vor ein paar Jahren wurde der Online-Verkauf von Luxusuhren über offizielle Kanäle von den entsprechenden Marken in der Regel nicht geduldet. Mit „offiziell“ meine ich die lizenzierten Konzessionäre bzw. den direkten Verkauf an die Kunden durch die Marken selbst. Die Hersteller befürchteten, dass die Kunden sich nicht wohl dabei fühlen würden, eine Luxusuhr über das Internet zu erwerben, oder ein Kauferlebnis bevorzugen, wie sie es nur im Geschäft bekommen können. Dies mag vielleicht auf manche zutreffen, doch die Realität zeigt ein anderes Bild. Mit der anhaltenden Corona-Pandemie wächst für die Marken der Druck, das Onlinegeschäft auszubauen, und die meisten sehen sich dazu gezwungen, bereits bestehende Konzepte nun tatsächlich umzusetzen.  

Wie dem auch sei, die Zurückhaltung der Marken, sich am E-Commerce zu beteiligen – die manche auch als Sturheit bezeichnen –, hat eine beträchtliche Marktlücke geschaffen. Schon lange machen sich vorausschauende Drittanbieter diesen Umstand zunutze und bedienen jene Kunden, die eine Luxusuhr online kaufen möchten. Darunter sind sowohl kleine Händler, die nur in der eigenen Region verkaufen, als auch große multinationale Unternehmen mit Vertriebsnetzen, die es mit denen der Hersteller aufnehmen können. 

Wo liegt aber der Haken? Nun, nicht alle Händler bieten das Gleiche an. 

Einige verkaufen ausschließlich „neue“ Uhren, während andere eine Auswahl an Gebrauchtuhren unterschiedlichen Zustands anbieten. Wiederum andere konzentrieren sich auf den Vintage-Markt oder spezielle Nischen, wie etwa die unabhängigen Uhrenmarken. Und dann gibt es noch Marktplätze wie den von Chrono24, der eine breite Auswahl aus all diesen Kategorien bereithält. 

 

Chrono24-Angebote von Juli 2020 nach Zustandskategorie 
Chrono24-Angebote von Juli 2020 nach Zustandskategorie

 

Bei Uhren-Neulingen können all die unterschiedlichen Kanäle und Kategorien schnell für Verwirrung sorgen. In diesem Artikel möchten wir den Knoten für Sie entwirren, häufig aufkommende Fragen beantworten und mit einigen Mythen, die immer noch zum Thema Online-Verkauf von Luxusuhren kursieren, aufräumen. 

 

Luxusuhren neu kaufen 

Im Großen und Ganzen gibt es drei Möglichkeiten, eine neue Luxusuhr zu kaufen: 

 

  1. Direkt beim Hersteller
  2. Bei einem der lizenzierten Konzessionär des Herstellers (im Ladengeschäft oder online)
  3. Bei einem nicht lizenzierten Drittanbieter (häufig mit Preisnachlass – mehr dazu gleich)

 

Aus offensichtlichen Gründen vertreten Luxusuhrenmarken die Position, dass die beiden ersten Optionen die einzigen seien. Nicht lizenzierte Drittanbieter, die „neue“ Uhren zum Verkauf anbieten, werden pauschal dem „Graumarkt“ zugerechnet und sind unter allen Umständen zu meiden. Die Ironie dabei ist, dass diese Anbieter ihre Bestände direkt (wenn auch nicht offiziell) über die vorgenannten lizenzierten Konzessionäre beziehen und in vielen Fällen sogar über die Hersteller selbst. 

 

So weit, so verwirrend? 

In Wirklichkeit hat die Luxusuhrenindustrie schon seit vielen Jahren ein Problem mit überschüssigen Beständen. Die Marken produzieren einfach mehr Uhren, als der Markt verkraften kann. Dies ist jedoch nicht überall der Fall. Beispielsweise scheinen beliebte Modelle wie die von Rolex und Patek Philippe immer knapp zu sein. Ob es sich dabei um eine bewusste Strategie handelt oder lediglich um die Unfähigkeit, die überwältigende globale Nachfrage zu befriedigen, ist ein anderes Thema. Der Punkt ist jedoch, dass diese überschüssigen Uhren nicht über die offiziellen Vertriebswege verkauft werden können und schließlich irgendwo „hinmüssen“ – und zwar zu den Verkäufern des Graumarktes. 

Die Verkäufer bieten diese neuen Uhren häufig mit erheblichem Preisnachlass an – je nach Modell meist 10 % bis 40 % unter dem empfohlenen Verkaufspreis. Wie ist das möglich, werden Sie sich fragen. Ganz einfach. Wenn lizenzierte Konzessionäre Ware an nicht lizenziert Händler verkaufen, tun sie dies in der Regel in großen Mengen und weit unterhalb des Listenpreises. In vielen Fällen versuchen die Konzessionäre lediglich, die entstandenen Kosten mit einem geringfügigen Gewinn wieder hereinzuholen. Die Preise entsprechen dann den Preisen, die sie am Markt realistischerweise wert sind. Es ist zwar nicht ganz dasselbe, aber Sie können es mit einem neuen Auto vergleichen, das in dem Moment, in dem sie damit vom Betriebsgelände fahren, schlagartig an Wert verliert.  

An dieser Stelle sollten wir differenzieren: Der Wert der Uhr aus Sicht des Marktes muss nicht dem entsprechen, was die Uhr Ihnen wert ist. Viele von uns werden sich wahrscheinlich nur ein- oder zweimal im Leben solch eine teure Luxusuhr kaufen. Manche werden deshalb vielleicht den vollen Einzelhandelspreis für eine Uhr bezahlen, die sie im Internet möglicherweise billiger bekommen hätten – sie wünschen sich das einmalige Erlebnis, ein schönes Uhrengeschäft zu besuchen und einen Tag lang wie ein König oder eine Königin behandelt zu werden. Vielleicht möchten sie aber auch eine Beziehung zu dem Händler aufbauen, um eine Chance auf exklusive Modelle zu erhalten, die sonst mit beträchtlichen Aufschlägen auf dem Graumarkt verkauft werden (wie z. B. die Patek Nautilus 5711).

Wertentwicklung der Patek Nautilus 5711

 

Luxusuhren gebraucht kaufen 

Nun, da wir den Markt für neue Uhren ausführlich besprochen haben, wollen wir uns dem Markt für gebrauchte Uhren – auch Sekundärmarkt genannt – zuwenden. Auf diesem Markt finden Sie Uhren, die vorher jemand anderem gehört haben. Ähnlich wie der Primärmarkt ist auch der Sekundärmarkt riesig und bildet kein einheitliches Gefüge. Er ist zwar (noch) nicht so groß wie der Primärmarkt, aber Schätzungen zufolge beläuft sich der Gesamtwert der jährlichen Sekundärmarktverkäufe auf etwa 4,2 Milliarden Euro. Und die Zahl wächst rasch. 

Im Allgemeinen ist der Sekundärmarkt von Uhrenhändlern besetzt, die Uhren von Privatpersonen kaufen, um sie wiederum an Privatpersonen weiterzuverkaufen. Dieser Markt ist dadurch entstanden, dass Unternehmen sowie auch einige Konzessionäre nicht bereit oder nicht in der Lage waren, ihre eigenen Produkte von Kunden in Zahlung zu nehmen, wenn diese ihre Uhren verkaufen oder ein besseres Modell erwerben wollten. In diese Situation kommt langsam Veränderung, da nun einige Marken und Händler mit „Certified Pre-Owned“-Programmen experimentieren, bei denen ältere Modelle zurückgekauft, geprüft, gewartet und dann mit Herstellergarantie zum Wiederverkauf angeboten werden. Der Sekundärmarkt ist in Wahrheit jedoch viel zu groß und gut etabliert, als dass diese Veränderung nennenswerte Auswirkungen haben könnte. 

Mehrere Faktoren beeinflussen die Preisbildung auf dem Sekundärmarkt. Dazu zählen natürlich das Alter der jeweiligen Uhr, deren Zustand, Nachfrage, Verfügbarkeit und das Vorhandensein von Originalverpackung und Papieren. Hinzu kommen Besonderheiten wie z. B. bestimmte Variationen eines Modells, die zu saftigen Preisaufschlägen führen können. Wenn Sie allerdings Ihre Hausaufgaben gemacht haben und die nötige Ausdauer mitbringen, können Sie auf dem Sekundärmarkt großartige, preisgünstige Uhren finden. Bei der Analyse der Verkaufszahlen und mittleren Verkaufspreise einiger Gebrauchtuhren, die im Jahr 2020 als Komplett-Set (mit Box und Papieren) auf Chrono24 zum Kauf standen, stellten wir fest, dass es möglich ist, bis zu 10 % gegenüber dem offiziellen Verkaufspreis zu sparen.  

Wenn Sie Glück haben, steigt der Wert Ihrer Uhr(en) mit der Zeit sogar. Informieren Sie sich in jedem Falle gründlich, bevor Sie eine gebrauchte Uhr kaufen.     

Der Begriff gebraucht Uhr ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit alt oder älter. In der Uhrenszene ist immer häufiger zu beobachten, dass Uhren schon bald nach dem Kauf wieder verkauft werden. Dadurch sind auf dem Markt viele aktuelle Modelle erhältlich, die zwar einen Vorbesitzer haben, sich jedoch in „ungetragenem“ Zustand befinden. Häufig hat der Erstbesitzer die Uhr über einen offiziellen Vertriebsweg erworben – mit der Absicht, diese mit Gewinn auf dem Sekundärmarkt zu verkaufen. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Manchmal lassen die Besitzer ihre Uhr auch einfach ein paar Monate lang unangetastet im Safe liegen, bevor sie zu dem Entschluss kommen, dass diese doch nicht das Richtige für sie ist. 

 

Welche Option ist die Beste? 

Jeder der drei Uhrenmärkte – Primärmarkt, Graumarkt und Sekundärmarkt – hat seine Vor- und Nachteile. Manche Uhrenliebhaber kaufen ausschließlich über offizielle Vertriebskanäle, da ihnen dies zusätzliches Vertrauen gibt: Sie möchten nicht nur die Gewissheit, ein Original zu erhalten, sondern wollen im Fall der Fälle auch gut abgesichert sein. (Wobei ich mir vorstellen kann, dass viele unter Ihnen, die die Garantieleistungen schon einmal in Anspruch genommen und ihre Uhr zur Wartung oder Reparatur gegeben haben, eine ganz eigene Horrorgeschichte darüber erzählen können.) Andere machen sich darüber weniger Gedanken und möchten lieber Geld sparen, weshalb sie auf dem Grau- oder Sekundärmarkt kaufen. Und um ehrlich zu sein: Wenn Sie im Vorfeld die nötigen Erkundigungen einholen und nur bei seriösen Anbietern kaufen, sind die Risiken relativ gering. 

 „Die beste Option“ gibt es letztendlich nicht. Wählen Sie beim Uhrenkauf den Vertriebsweg, der sich am besten für Sie anfühlt und Sie zu Ihrer persönlichen Traumuhr führt. 

Mehr lesen:

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Über den Autor

Tom Mulraney

Ich wuchs in den 1980er- und 90er-Jahren in Australien auf. In der Stadt, in der ich lebte, gab es keine nennenswerte Uhren-Szene. Lediglich ein Händler hatte …

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