05/10/2022
 5 Minuten

Exoten von ETA und Sellita – Mehr als Uhrwerke von der Stange

Von Tim Breining
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Jeder kennt Uhrwerke wie das ETA 2824-2 oder das Valjoux 7750 – und zunehmend auch deren Pendants aus dem Hause Sellita. Sie gelten als etablierter und hochwertiger Standard. Sich bei diesen marktdominierenden Werkelieferanten mit Kalibern einzudecken war lange Zeit selbstverständlich und schlicht die alternativlose Option für Marken mittlerer Größe. Doch der Trend zum Manufakturwerk, wie auch immer die genaue Definition dieses Begriffs lauten mag, ist nicht aufzuhalten. Er hat zum einen die vertikale Integration bei Uhrenherstellern vorangetrieben, zum anderen den Markt für neue Werkezulieferer geöffnet. Was deren Werke hinsichtlich Zuverlässigkeit noch vermissen lassen, machen sie oft mit innovativen konstruktiven Merkmalen und langen Gangreserven wett.

Doch wer denkt, dass die Platzhirsche auf dem Uhrwerksmarkt nichts Interessantes mehr zu bieten haben, der kennt deren bestehendes Sortiment nicht gut genug. Sowohl ETA als auch Sellita haben so manche versteckte Perle im Angebot, die sich unter dem Radar viele Enthusiasten bewegt, aber definitiv einen genaueren Blick wert sind.

1. ETA A31

Die auf dem 2824-2 aufbauende Powermatic 80-Reihe von ETA hat sich bei den Marken der Swatch Group bereits seit vielen Jahren etabliert, und sichert den Konzernmarken einen Vorsprung vor externen Einschalern, die mit dem historischen Modell vorliebnehmen müssen. Der Geschichte dieser Werke haben wir uns bereits ausführlich in diesem Artikel gewidmet.

In einem Nebensatz habe ich dort eine Alternative für diejenigen genannt, denen die zahlreichen Ausführungen des Powermatic 80 nicht zusagen, da es mit einer deutlich reduzierten Schwingfrequenz sowie in manchen Ausführungen mit Kunststoffkomponenten in der Hemmung arbeitet. Diese Alternative ist die ETA-Baureihe A31, die auf dem ETA 2892-A2 basiert. Da in der Hierarchie der ETA-Werke das 2892-A2 als flacherer und hochwertigerer großer Bruder des 2824-2 gilt, kann die Baureihe A31 als das Powermatic-Upgrade dieses klassischen Premiumkalibers gelten.

Anders als beim Powermatic 80 ging ETA bei der Anpassung des Ursprungskalibers 2892-A2 behutsamer vor. Entsprechend fällt der größte Kritikpunkt des Powermatic 80, die von 4 auf 3 Hertz reduzierte Schwingfrequenz, beim A31 mit einer Reduktion von 4 auf 3,5 Hertz moderater aus. Somit fällt die Bewegung des Sekundenzeigers nur unmerklich ruckeliger aus, dafür gibt es aber auch nur 65 statt 80 Stunden Gangreserve.

Plastikkomponenten sucht man in den mit Siliziumspiralen versehenen Hemmungen dieser Werke vergeblich, und auch die äußerst flache Architektur fiel dem Upgrade nicht zum Opfer. Die Kombination all dieser Eigenschaften prädestiniert das A31 für die gehobene Mittelklasse innerhalb der Hierarchie des Swatch-Konzerns. Primär wird es bei Longines und Union Glashütte eingesetzt, wobei es hier unter den Kaliberbezeichnung L888 oder UNG-07.01 geführt wird. Mit dem A31.L21 existiert sogar ein modulares Chronographenwerk mit Bicompax-Layout, das das Basiswerk um ein ETA-internes Modul ergänzt. Dieses seltene Werk treibt den Longines Heritage Classic Tuxedo Chronograph an, eine gelungene Neuauflage, dessen Vorbild aus dem Jahr 1943 stammt.

Die Longines Legend Diver mit ETA A31 Werk

2. ETA L668

Im Jahr 2005 stellte ETA eine neue Kaliberreihe unter der Bezeichnung „Valgranges“ vor. Dahinter verbergen sich im Durchmesser vergrößerte Varianten der bewährten Valjoux-Chronographenkaliber. Zu der damaligen Zeit, als der Trend hin zu weit über 40 mm Durchmesser am Handgelenk ging, wirkte so manches Werk im Sichtboden gigantischer Gehäuse deplatziert oder fast lächerlich. Bei Handaufzugsmodellen hielt ETA mit dem Unitas 6497 eine praktische und bewährte Lösung parat. Bei den Chronographen hingegen führte der geringe Werksdurchmesser zu unästhetischen Zifferblättern, bei denen sich Totalisatoren und Datumsfenster scheinbar unnötig nah am Zentrum gruppierten, während die Randbereiche verdächtig ungenutzt blieben.

Mit den XL-Versionen der Valjoux-Kaliber blieb die große technologische Revolution zwar aus, dafür war den funktionalen und ästhetischen Ansprüchen genüge getan. Doch ein in gewisser Weise revolutionäres Werk verbirgt sich in der überschaubaren Valgranges-Kollektion tatsächlich: Das L668.2. Hinter der wenig aufschlussreichen Bezeichnung verbirgt sich eine zunächst speziell für Longines umkonstruierte Variante des Valjoux 7753 (mit den Totalisatoren auf drei, sechs und 9 Uhr).

Modifiziert wurden nicht etwa Kleinigkeiten, sondern das Herz des Chronographenmechanismus, indem die Nockensteuerung, für die die Valjoux-Reihe bekannt ist, auf eine begehrte Schaltradsteuerung umgestellt wurde. Der Schwingtrieb blieb als Kupplungsmechanismus erhalten, was bedeutet, dass das L668.2 nicht auf die oft als „ideale“ propagierte Kombination aus Schaltrad und vertikaler Kupplung setzt. Zweifellos der Tatsache geschuldet, dass man sich in der Architektur eines existierenden Kalibers bewegen musste. Nichtsdestotrotz: Angesichts der Features dieses Kalibers und der moderaten Preise der Uhren, die es antreibt ein definitiver Geheimtipp! Neben den naheliegenden Longines-Modellen existierte zudem eine Variante für Omega, wobei diese als Kaliber 3330 mit einer Coaxial-Hemmung ausgestattet und bis 2014 in bestimmten Modellen verbaut wurde.

Selbst Omega vertraut auf eine modifizierte Variante des ETA L668

3. Sellita SW 266

Im Werkskatalog auf der Homepage von Sellita ist das SW 266 nicht aufgeführt, doch von den Marken, bei denen es eingeschalt wird, kennen wir die Bezeichnung. Dies scheinen derzeit lediglich zwei zu sein: Die zuletzt vor allem mit außergewöhnlichen Designkooperationen erfolgreiche Marke Louis Erard aus der Schweiz, und die deutsche Marke Zeppelin. Speziell Louis Erards Markenzeichen ist der Regulator, und so ist es nicht verwunderlich, dass es sich bei dem Sellita SW 266 um ein Werk für Regulatoren handelt. Darunter versteht man bei Armbanduhren einen Zifferblattaufbau, bei dem alle Zeiger auf der zentralen vertikalen Achse liegen, wobei lediglich der Minutenzeiger im Zentrum sitzt und wie üblich an den Rand des Zifferblatts reicht. Stunden- und Sekundenzeiger befinden sich bei zwölf und sechs Uhr auf kleineren Zifferblättern.

Um diesen Aufbau zu erzielen, mussten Hersteller früher auf eine Umarbeitung des Werks beziehungsweise zugekaufte Module setzen, um die charakteristische Anordnung der Zeiger zu erzielen. Sellita bietet seit einigen Jahren mit dem SW 266 eine komfortable Lösung aus einer Hand an.

Dieses Werk aus der SW 200er-Kaliberreihe fällt, wie auch das klassische ETA 2824-2, auf dem Sellitas SW 200er-Kollektion aufbaut, nicht mit außergewöhnlichen Kennzahlen auf. Das hat es auch nicht nötig, denn seinen Zweck, auch Regulatoren mit einbaufertigen Kalibern zu versorgen, erfüllt es vollkommen.

Das Sellita SW 266 in der Louis Erard Excellence Regulator Malachite

4. Sellita SW 1000

Anders als der Großteil der Modellpalette von Sellita basiert das SW 1000 nicht auf einem historischen ETA-Kaliber, sondern ist eine Eigenentwicklung aus den 2010er-Jahren. Es ist aufgrund seiner kompakten Abmessungen als Kaliber für Damenuhren oder Herrenuhren mit Formgehäusen vorgesehen.

Mit einem Durchmesser von nur 20 mm unterbietet es ETAs Powermatic 80 bzw. 2824-2 um fast 6 mm, bleibt aber größer als das 17,2 mm messende SW 100, welches seinerseits ein Klon des ETA 2671 ist. Dafür ist das SW 1000 wesentlich flacher, nämlich 3,9 mm gegenüber den 4,8 mm des SW 100. Sellita selbst bezeichnet das SW 1000 als „kleines Pendant zum SW 300“, der Kopie des ETA 2892-A2. Somit stehen SW 100 und SW 1000 in etwa im selben Verhältnis wie 2824-2 und 2892-A2: Ersteres gilt als preiswert und zuverlässig, Zweiteres als hochwertiger und besonders flach.

Eine Tag Heuer mit dem Uhrwerk SW 1000 von Sellita

Wichtigster Abnehmer dürfte die Marke Tag Heuer sein, bei der das SW 1000 als Calibre 9 geführt wird und automatische Damenuhren antreibt.


Über den Autor

Tim Breining

Etwa 2014, während meines Ingenieurstudiums, begann ich mich für Uhren zu interessieren. Mit der Zeit wurde aus der anfänglichen Neugier eine Leidenschaft. Da …

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