01/25/2022
 6 Minuten

Die Evolution der Uhrwerke von Nomos Glashütte

Von Chrono24
Tims-Lieblingsuhrwerk-2-1

Uns alle verbindet die Leidenschaft für Uhren, wobei mich vor allem die Mechanik fasziniert. Nachdem ich mir vor einiger Zeit mit dem Eta 2824-2 und seiner Geschichte DAS Massenprodukt der Uhrenwelt vorgenommen hatte, habe ich nun darüber nachgedacht, welches Uhrwerk mich am meisten beeindruckt. Eine Wahl, die nicht leichtfällt, denn die Liste der faszinierenden Kaliber ist lang. Deshalb habe ich mich entschieden, über ein Werk beziehungsweise die Entwicklung einiger Werke zu schreiben, die mich seit meinem ersten Kontakt mit mechanischen Uhren begleiten, und zwar die von Nomos Glashütte.

Vom Nomos Tangomat zum Neomatik-Kaliber

Meine erste ernstzunehmende, mechanische Uhr war ein Nomos Tangomat, der meinen Einstieg in die Welt der mechanischen Uhren markierte. Mit dem gefälligen Design, der Fertigungstiefe und nicht zuletzt fairen Preisen rückte Nomos Glashütte – wie bei so vielen anderen Neueinsteigern – schnell auch an die Spitze meiner Wunschliste.

Einige Jahre später gesellte sich zum Tangomat eine weitere Nomos, diesmal mit einem der komplett neuentwickelten Neomatik-Kaliber, auf die ich seit der Markteinführung ein Auge geworfen hatte. In den ersten Jahren, in denen ich tiefer und tiefer in das Hobby eingestiegen bin, hat Nomos fleißig an seiner ersten In-House Kalibergeneration gearbeitet, die nicht mehr auf den Layouts historischer Werke basiert.

Wieso also nicht die Gelegenheit die nutzen, um die Entwicklungen und Meilensteine in der Uhrwerksentwicklung der Marke Revue passieren zu lassen, die ich seit meinem Einstieg in das Hobby mitverfolge. Angefangen bei zugelieferten Werken, über eigene Nachbauten bis hin zu den High-End Kleinserien und Neomatik-Kalibern hat die junge Deutsche Marke mehr als nur ein paar beeindruckende Mechanismen und clevere Lösungen auf den Markt gebracht.

Der Nomos Tangomat war meine erste mechanische Uhr.
Der Nomos Tangomat war meine erste mechanische Uhr.

Nomos Tangente: Die bescheidenen Anfänge

Das Erfolgsmodell Nomos Tangente begann seine Karriere mit einem mittlerweile selten anzutreffenden Kaliber, dem Peseux 7001, hergestellt von ETA. In seiner klassischen Form erfüllte das 7001 nicht so ganz das Bild einer typischen Glashütter Uhr. Statt einer Dreiviertelplatine sind die Räderwerks- und Federhausbrücken zweigeteilt und mit eckigen Kanten versehen. Von der Präsentation der Nomos Tangente im Jahr 1992 bis ins Jahr 2005 ergänzte man das 7001 sukzessive um eigene Modifikationen wie einen Sekundenstopp, das „Glashütter Gesperr“ mit seiner langen Feder und nicht zuletzt um die Glashütter Dreiviertelplatine. Von 2005 an stattete man die Uhren mit den ersten „eigenen“ alpha-Werken aus, wobei diese offenkundig exakte Nachbauten des 7001 mit den erwähnten Modifikationen darstellten.

Eine frühe Nomos Tangente mit Peseux 7001 und ohne Glashütter Dreiviertelplatine
Eine frühe Nomos Tangente mit Peseux 7001 und ohne Glashütter Dreiviertelplatine

In Sachen Komplikationen wurde man bereits lange vor der Umstellung auf In-house-Werke aktiv. So etwa mit der patentierten Gangreserveanzeige des Nomos Delta, einer Version des Alpha mit ebenjener Gangreserve- sowie einer Datumsanzeige. Ersonnen wurde sie vom langjährigen Entwicklungschef Thierry Albert, der durch diese kreative Konstruktion die Bauhöhe des Basiskalibers unangetastet lassen konnte.

Nomos Tangomat: das In-House-Automatikwerk Epsilon

Neuland betrat man auch mit der Werksreihe Epsilon für das Automatikmodell Tangomat. Das Epsilon erweiterte die bewährte 7001-Konstruktion um eine Automatikbaugruppe, der man dank prominenter Platzierung wunderbar bei der Arbeit zusehen kann. Beidseitiger Aufzug wird durch eine Komponente gewährleistet, die Nomos liebevoll „Wippbewegungsgleichrichter“ nennt. Anders als die weitverbreiteten Wechselräder, die im omnipräsenten ETA 2824-2 oder auch den Kalibern von Rolex recht unauffällig ihren Dienst verrichten, sieht man dieses Bauteil schon mal hektisch hin und her zappeln. Das macht diese seltene Lösung besonders charmant und damit sehr Nomos-like. Unsichtbar bleibt die Umstellung des Federhauses auf eine Bauform mit Rutschkupplung, die die Feder regelmäßig entspannt, da der Rotor auch bei Vollaufzug munter weiterarbeitet und die Feder aufzieht. Dessen Effizienz wiederum liegt sicherlich auch an seiner großzügigen Masse, denn er ist vollständig aus Schwermetall (Wolfram). Üblich ist die Anbringung eines Schwermetallreifs am äußeren Ring der Schwungmasse, aber Nomos griff auf eine Monoblock Bauform zurück, der man bis heute treu bleibt.

Auch das Epsilon gibt es in komplizierterer Form, wobei vor allem das Kaliber Xi im Modell Tangomat GMT oder der markanten Zürich Weltzeit nicht unerwähnt bleiben sollte.

Swing-System und Neomatik

Zu den nächsten Meilensteinen in der Historie von Nomos zählt allen voran die Einführung eines eigenen Regulierorgans inklusive Unruh, Spiralfeder, Ankerrad und Anker. Was selbst bei Haute Horlogerie-Marken keine Selbstverständlichkeit ist, gelang der jungen Marke ohne einen signifikanten Preissprung.

Mit der Einführung des eigenen Regulierorgans, das bei Nomos den eingängigen Namen „Swing-System“ verpasst bekam, ging man dazu über, den so umgerüsteten Werken neue Namen zu geben. Das Namensschema mit griechischen Buchstaben wich Kalibernamen mit der Bezeichnung DUW, gefolgt von einem Zahlencode für das jeweilige Kaliber. Mit dem Titel DUW, kurz für „Deutsche Uhrenwerke“, beanspruchte Nomos mit reichlich Stolz und nicht ganz ohne Pathos einen Platz unter den „echten“ Manufakturen mit besonders hoher Fertigungstiefe für sich. Hierfür waren laut Nomos sieben Jahre Forschung, unter anderem in Kooperation mit der Technischen Universität Dresden und dem Fraunhofer-Institut, nötig. Dabei wurde nicht nur Wissen, sondern auch Personal transferiert, denn Lutz Reichel, eine der Schlüsselfiguren in der Entwicklung des Swing-Systems, der zu dem Thema an der TU Dresden promovierte, stieg danach direkt bei Nomos ein.

DUW 4101 in einer Metro Datum
DUW 4101 in einer Metro Datum

Revolution Dreizeiger: das Nomos DUW 3001

Während man den Rollout des Swing-Systems auf weitere Uhren und Kaliber auszuweiten begann, bereitete man schon den nächsten Paukenschlag in Gestalt einer revolutionären Werksgeneration vor. Den Anfang machte eine Dreizeiger-Automatikvariante namens DUW 3001, das zeitgleich mit einem neuen Uhrenmodell Minimatik 2015 präsentiert wurde. Dank der äußerst flachen Bauhöhe von 3,2 mm konnten selbst Modelle, deren schmale Gehäuse bisher nur Handaufzugswerken Platz boten, erstmals in den Genuss eines Automatikaufzugs kommen, darunter die Orion. Hauptverantwortliche für die Neomatik-Reihe waren Entwicklungschef Mirko Heyne, der schon das erste Automatikwerk von Nomos, das Epsilon, verantwortete, sowie Konstruktionsleiter Theodor Prenzel.

Die Bauhöhe des Automatikklassikers Epsilon wurde um bemerkenswerte 1,1 mm unterboten – eine Reduktion von fast 26 %! Ganz fair ist der Vergleich nicht, da das Epsilon modular auf dem bestehenden Peseux 7001 (beziehungsweise Nomos alpha) aufbaute, während die Nomos-Konstrukteure bei dem DUW 3001 von Null anfangen konnten. Somit konnte die Integration der Automatikbaugruppe in die Ebene der Dreiviertelplatine realisiert werden, was das DUW 3001 auf die Dicke konventioneller Handaufzugswerke schrumpfen lässt. Fertigungstoleranzen mussten hierfür in etwa halbiert werden, und eine schmalere Zugfeder kompensierte man durch einen verbesserten Wirkungsgrad des Räderwerks, der mit über 92 % angegeben wird.

DUW 4101 – Nomos Glashütte Deutsche Uhrenwerke
DUW 4101 – Nomos Glashütte Deutsche Uhrenwerke

Kommen wir noch einmal auf das Namensschema der Werke zurück: Die DUW 4000er-Reihe wird von den ehemaligen Werken auf alpha-Basis belegt, die bereits mit dem Swing-System ausgestattet sind, die 5000er-Reihe bezeichnet die alteingesessenen Automatikwerke mit Swing-System, und die 3000er-Reihe ist die erste Neomatik-Generation.

Es drängt sich die Frage aus, wo die Reihen 1000 und 2000 geblieben sind, und dieser Frage gehen wir in einem kurzen Exkurs auf den Grund.

Die Haute-Horlogerie-Uhrwerke von Nomos

Während die Nomos Tangente inflationär an Handgelenken zu sichten ist, sind die zwei High-End Modelle von Nomos in freier Wildbahn selten anzutreffen. Lambda und Lux, Erstere rund, mit Doppelfederhaus und langer Gangreserve, Zweitere mit Formwerk und Tonneau-Gehäuse. Mit verschraubten Chatons, edlen Schliffen und Handgravur spielt Nomos bei diesen regulär nur in Edelmetallgehäusen erhältlichen Zeitmessern ganz weit vorne mit.

Strenggenommen stellen diese 2013 präsentierten Werke echte Manufakturwerke von Nomos dar, die bereits Jahre vor der Neomatik-Reihe am Markt waren. Man vernimmt jedoch, dass die Verkaufszahlen der deutlich fünfstellig bepreisten Modelle bescheiden sind, und man in diesem Segment einen eher schweren Stand hat.

Nomos Club Datum
Nomos Club Datum

Einmalig präsentierte man limitierte Auflagen mit Edelstahlgehäusen zu deutlich geringeren Preisen, die in kürzester Zeit vergriffen waren. Auch wenn die Nomos Lambda und Lux qualitativ tadellos sind, liegen die Stärken der Marke – gerade hinsichtlich Außenwahrnehmung und Verkaufszahlen – klar im Bereich um die 3.000 € und darunter.

Vielleicht kannten Sie auch nur die erschwinglichen Modelle von Nomos, und haben von Lambda und Lux noch nichts gehört, vielleicht waren sie Ihnen auch schon bekannt. Aber was sie höchstwahrscheinlich nicht wissen ist, dass Nomos bereits im Jahr 2006 äußerst edle Werke, ja sogar ein Tourbillonwerk konstruiert und gefertigt hat. Für eine Uhrenkollektion der deutschen Juwelierkette Wempe! Die Werke hörten auf die Namen Theta und Jota, wobei das Theta auf Mirko Heyne, das Yota, welches das Tourbillon beherbergte, auf den langjährigen Mitarbeiter Thierry Albert zurückzuführen ist, der jahrelang daran tüftelte.

Was kommt als Nächstes für Nomos?

Mittlerweile listet die Homepage von Nomos kaum noch Modelle, die ohne das Swing-System angeboten werden. Zudem stellt sich die Frage, ob man weiterhin die „alten“ Automatikwerke parallel zu den Neomatik-Kalibern fertigen wird, oder mittelfristig alle Werke auf die besonders flache Neomatik-Architektur umgestellt werden. Dies würde auch die Um- beziehungsweise Neukonstruktion einiger Komplikationen bedingen, und ist auch eine Frage von Kosten und Nutzen.

Viel spannender ist aus meiner Sicht die Frage, ob jemals ein Nomos-Chronograph das Licht der Welt erblicken wird. Es wäre der nächste logische Schritt in Sachen Technologie, doch passt es euch zur Marken-DNA? Einerseits steht die Komplexität des Zifferblatts im Kontrast zur minimalistischen Linie der Marke, andererseits zeigt die Konkurrenz, dass ein Chronograph nicht unübersichtlicher daherkommen muss als eine Uhr mit kleiner Sekunde (Beispiel: der Louis Erard Monopusher-Chronograph). Mein persönlicher Wunsch lautet daher: Nomos, baut ein Chronographenwerk! Einen Käufer habt schon sicher.


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