02/21/2020
 5 Minuten

Die Taschenuhr: altmodisches Relikt oder zeitloser Klassiker?

Von Tom Mulraney
Die Taschenuhr: altmodisches Relikt oder zeitloser Klassiker?

Die Taschenuhr: altmodisches Relikt oder zeitloser Klassiker?

Die Taschenuhr, die im frühen 16. Jahrhundert erfunden wurde, diente knapp 400 Jahre lang als treuer Begleiter und unverzichtbares Utensil für die Zeitanzeige – bis sie Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Armbanduhr sang- und klanglos von der Bildfläche verschwand. Die Bedienung von Taschenuhren erwies sich oft als unpraktisch und umständlich. Allerdings waren diese Zeitmesser zum Teil auch außerordentlich komplex und aufwendig verziert und übertreffen in dieser Hinsicht jede moderne Uhr, die Sie jemals am Handgelenk tragen werden. Doch sind Taschenuhren heute noch relevant? Es ist nur schwer vorstellbar, dass die Antwort ja lauten könnte, und dennoch gibt es eine beständige Community passionierter Taschenuhren-Sammler. Was ist es, das die Menschen an diesen altmodischen Zeitanzeigern fasziniert? Und was sollten Sie wissen, bevor Sie eine eigene Sammlung anlegen? All das erfahren Sie in diesem Artikel.

Was macht das Sammeln von Taschenuhren so besonders?

Es gibt viele Gründe, Taschenuhren zu sammeln. Die faszinierende Geschichte, die hinter diesen Zeitmessern steckt, die bemerkenswerte Handwerkskunst, die umfangreiche Auswahl. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass das Sammeln von Taschenuhren in der Regel billiger ist als das Sammeln von Armbanduhren. Das macht es für viele leichter, mit diesem Hobby zu beginnen. Was allerdings nicht heißen soll, dass es nicht auch seltene, extrem wertvolle Taschenuhren gäbe, die man sammeln kann. Solche Stücke gibt es durchaus. Eines davon werden wir uns gleich näher ansehen.

A. Lange & Söhne Taschenuhr
A. Lange & Söhne Taschenuhr

Fakt ist jedoch, dass Taschenuhren – insbesondere diejenigen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert – in Massenproduktion gefertigt wurden. Es gibt also zahlreiche noch erhaltene Exemplare aus dieser Zeit. Wie Sie sich denken können, haben viele davon wenig bis gar keine Bedeutung. Zumindest nicht in den Augen von Liebhabern der Uhrengeschichte. Diese Modelle werden niemals astronomische Preise bei Auktionen erzielen oder in einer kostbaren Museumskollektion landen.

Das Ganze hat jedoch auch eine positive Seite: Für beginnende Taschenuhren-Sammler ist es relativ einfach, wirklich interessante Modelle zu moderaten Preisen zu finden. Diese wurden vielleicht nicht von einem Staatsoberhaupt oder Kronprinzen getragen, doch sie geben einen faszinierenden Einblick in die Entwicklungsgeschichte des Zeitmessers. Oft sind sie sogar besser konstruiert als ihre modernen Gegenstücke.

Wonach sollten Sie Ausschau halten?

Genau wie beim Sammeln von Armbanduhren, gibt es auch beim Sammeln von Taschenuhren im Großen und Ganzen drei Kriterien, die Sie berücksichtigen sollten: die Marke, den Komplikationsgrad und den Zustand. Die Herkunft der Uhr kann ebenfalls eine Rolle spielen, aber seien wir ehrlich: Wenn eine Uhr über 100 Jahre alt ist und keine historische Bedeutung hat, ist es unwahrscheinlich, dass Sie genaue Angaben zu Vorbesitzern usw. finden werden.

Audemars Piguet Taschenuhr
Audemars Piguet Taschenuhr

Die Marke ist bei Taschenuhren besonders wichtig. Der Grund ist, dass es um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sehr viele verschiedene Hersteller von Taschenuhren gab. Die meisten davon sind nicht besonders erwähnenswert. Nach einigen Markennamen allerdings sollten Sie sich umsehen. Es geht dabei um die üblichen Verdächtigen: Breguet, Vacheron Constantin, Audemars Piguet, Girard-Perregaux und – natürlich – Patek Philippe. Letzterer ist mit Abstand der wichtigste in der Reihe. Diese großen Uhrenhersteller entwickelten die hochkomplizierten Taschenuhrwerke, die wir heute so schätzen.
Man darf nicht vergessen, dass Taschenuhrwerke nicht denselben Größenbeschränkungen unterlagen wie Armbanduhren. So hatten Uhrmacher die Möglichkeit, mehr Komplikationen in die Werke zu integrieren und diese filigran zu verzieren und zu verarbeiten. Und häufig taten sie das auch, denn die meisten Luxus-Exemplare wurden von sehr vermögenden Kunden mit ganz speziellen Vorstellungen in Auftrag gegeben. Die Fertigung einer einzigen Taschenuhr konnte aufgrund ihrer Komplexität und der technischen Grenzen der damaligen Zeit Jahre dauern.

Das berühmteste Beispiel einer solchen Taschenuhr ist natürlich die Henry Graves Jr. Super Complication von Patek Philippe. Ihr Besitzer – ein Bankier – wollte mit ihr seinen Rivalen, den amerikanischen Automobilhersteller James Ward Packard, übertrumpfen. Dieser hatte sich von Vacheron Constantin eine Grande-Complication-Taschenuhr anfertigen lassen. Die Graves ist mit 24 verschiedenen Komplikationen eine der kompliziertesten Taschenuhren, die je gebaut wurden. Sie ist mit einem ewigen Kalender, Westminsterschlag sowie einer Anzeige für den Sonnenauf- und Sonnenuntergang ausgestattet. Das Zifferblatt ziert ein Abbild des New Yorker Nachthimmels, wie er sich von Henry Graves’ Apartment auf der Fifth Avenue aus zeigte.

Vacheron Constantin Taschenuhr
Vacheron Constantin Taschenuhr

Als die Uhr vor einigen Jahren in Genf zur Versteigerung kam, hatte ich die seltene Gelegenheit, sie selbst in Händen halten zu dürfen. Und ich kann Ihnen versichern: Diese Uhr ist absolut unglaublich. Sie ist jedoch nichts, das man einfach so mit sich in der Tasche herumtragen würde. Und das nicht nur, weil sie mit einem Verkaufspreis von damals 20,6 Millionen Schweizer Franken (über 19 Millionen Euro) zu einer der teuersten Uhren zählt, die je auf einer Auktion verkauft wurde. Sie besitzt zudem auch eine enorme Größe. Über 50 Jahre nach Erschaffung der Henry-Graves-Taschenuhr hat sich Patek Philippe noch einmal selbst übertroffen, als die Marke anlässlich ihres 150-jährigen Jubiläums das Calibre 89 realisierte. Diese Taschenuhr verblüffte mit unglaublichen 33 Komplikationen. Allerdings bekam Vacheron Constantin 2015 schließlich doch noch seine Revanche – mit der Referenz 57260. Die Taschenuhr mit ihren 57 Komplikationen ist die komplizierteste Uhr aller Zeiten. Und diesen Rekord wird sie wohl auch noch eine Weile halten.

Heutzutage finden derartige Uhren nur noch selten ihren Weg aus Privatsammlungen heraus auf den öffentlichen Markt. Nur selten wechseln sie den Besitzer, und wenn, dann nicht unbedingt unter den Augen der Öffentlichkeit, mit anderen Worten auf einer Auktion. Das heißt jedoch keineswegs, dass Sie sich den Gedanken an eine Taschenuhren-Sammlung aus dem Kopf schlagen sollten. Sie müssen einfach nur Ihre Nische finden, zum Beispiel Taschenuhren aus den beiden Weltkriegen, Modelle von britischen Uhrmachern, amerikanische Marken usw.

Patek Philippe Taschenuhr
Patek Philippe Taschenuhr

Eine sinnvolle Investition?

Sind Taschenuhren nun eine sinnvolle Investition? Wird sich für sie plötzlich eine ähnlich hohe Nachfrage entwickeln wie für Vintage-Uhren? Ich glaube, die Antwort ist nein. Es kann natürlich sein, dass mich irre. Aber darum geht es gar nicht. Wenn Sie Ihr Geld investierenmöchten, dann legen Sie es in Aktien oder Immobilien an. Wenn Sie Ihr Geld genießenmöchten, dann sammeln Sie Objekte, die Sie mögen. Objekte, die Sie interessant finden, zu denen Sie sich hingezogen fühlen und die Ihnen Freude bereiten, wenn Sie sie anschauen und benutzen. Ich zum Beispiel habe schon einige wirklich coole Taschenuhren gesehen, die zwar für die Geschichte der Uhrmacherkunst völlig bedeutungslos sind, die aber ein cleveres Design oder eine ungewöhnliche Funktion haben. Und sie gehen noch einwandfrei. Was man von modernen Armbanduhren nicht immer behaupten kann.

Wenn Ihnen also der Gedanke an eine Taschenuhren-Sammlung gefällt, dann würde ich Ihnen raten, einfach damit anzufangen. Genießen Sie es, diese interessanten Zeitanzeiger zu erforschen und in die Geschichte der Zeitmessung einzutauchen. Wenn Sie noch tiefer graben und sich eine bestimmte Nische erschließen wollen, dann tun Sie auch das! Genau deshalb macht unser kleines Hobby doch so viel Spaß.

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Über den Autor

Tom Mulraney

Ich wuchs in den 1980er- und 90er-Jahren in Australien auf. In der Stadt, in der ich lebte, gab es keine nennenswerte Uhren-Szene. Lediglich ein Händler hatte …

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